Die Dynamik des Augenkontaktes bei Autismus und sozialer Angst: Ein naturalistisches dyadisches Eye-Tracking Paradigma
Allgemeine, Kognitive und Mathematische Psychologie
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ziel dieses Projektes war die Erforschung der Rolle von Blickkontakt in naturalistischen sozialen Interaktionen. Hierfür wurde ein neues Eye-Tracking Paradigma entwickelt, welches die simultane Messung der Blickbewegungen zweier Interaktionspartner in einem naturalistischen Setting erlaubt. Es ermöglichte damit die Analyse der Dynamik des Blickkontaktes und erlaubte somit Rückschlüsse auf Initiierung, Aufrechterhaltung, Vermeidung und Erwiderung von Blickkontakt bei zwei Gesprächspartnern. Spezifisch zielte die beiden Teilprojekte darauf ab, das Blickverhalten bei Proband*innen mit Sozialer Angststörung (SAD) und Autismus-Spektrum-Störung (ASD) im Vergleich zu geeigneten Kontrollgruppen zu untersuchen. Personen mit ASD und SAD zeigten in früheren Studien eine deutliche Vermeidung von Blickkontakt. Es gibt darüber hinaus zunehmend Evidenz, dass Personen mit SAD besonders sensitiv für vermeintliche soziale Bedrohung sind und die Vermeidung von Blickkontakt der Regulation sozialer Ängste in Interaktionen dient. Folglich erwarteten wir für beide Gruppen unterschiedliche Muster von Initiierung und Vermeidung von Blickkontakt in Abhängigkeit vom Ausmaß der erwarteten Bedrohung durch den Gesprächspartner: Während wir für beide Gruppen bei geringer situationaler Bedrohung vergleichbaren, jedoch verminderte Blickkontakt erwarten, gingen wir davon aus, dass Personen mit SAD Blickkontakt besonders stark vermeiden bei hoher situationaler Bedrohung. Die initialen Evaluationsstudien konnten belegen, dass mit dem neu entwickelten Eyetracking Paradigma reliable und valide Blickbewegungsdaten in natürlichen dyadischen Interaktionen erfasst werden können. Die Ergebnisse der beiden Studienstandorte in Bezug auf die Besonderheiten bei ASD uns SAD zeigen, dass sich das Blickverhalten in einer natürlichen Gesprächssituation bei den beiden Störungen unterscheidet. Bei der ASD fiel vor allem eine geringere Gesamtdauer des gegenseitigen Blicks, seltenere Initiierungen gegenseitigen Blickkontaktes und seltenere Reaktionen auf die Initiierung des gegenseitigen Blicks durch das Gegenüber auf. Außerdem unterbrachen sie den gegenseitigen Blick häufiger, insbesondere wenn sie in der antwortenden Rolle waren. Diese Effekte konnten in den ersten Analysen der Daten bei der Gruppe mit SAD nicht bestätigt werden. Insgesamt erschien deren Blickverhalten in sozialen Interaktionen weniger auffällig. Zusammenfassend lässt sich schlussfolgern, dass mit dem neu entwickelten dyadischen Interaktionsparadigma reliable und valide Eyetracking Daten erzeugt werden können, die subtile Unterschiede im gegenseitigen Blickverhalten bei ASD und SAD aufzeigen konnten. Die Ergebnisse ermutigen zu weiteren Studien zur Modulation gegenseitigen Blickverhaltens und er Erforschung potentieller neuronaler, endokrinologischer und klinischer Faktoren als Grundlage funktionalen und dysfunktionaler sozialer Interaktionen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Evaluation of an eye tracking setup for studying visual attention in face-to-face conversations. Scientific Reports, 11(1).
Vehlen, Antonia; Spenthof, Ines; Tönsing, Daniel; Heinrichs, Markus & Domes, Gregor
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How to choose the size of facial areas of interest in interactive eye tracking. PLOS ONE, 17(2), e0263594.
Vehlen, Antonia; Standard, William & Domes, Gregor
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No evidence that gaze anxiety predicts gaze avoidance behavior during face-to-face social interaction. Scientific Reports, 12(1).
Tönsing, Daniel; Schiller, Bastian; Vehlen, Antonia; Spenthof, Ines; Domes, Gregor & Heinrichs, Markus
