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Verrat und Subjektivität

Antragsteller Dr. Stephan Gregory
Fachliche Zuordnung Theater- und Medienwissenschaften
Germanistische Literatur- und Kulturwissenschaften (Neuere deutsche Literatur)
Förderung Förderung von 2017 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 391972070
 
Erstellungsjahr 2022

Zusammenfassung der Projektergebnisse

In dem Projekt "Verrat und Subjektivität" ging es um Konstellationen des politischen Verrats im 20. und 21. Jahrhundert. Die Untersuchung zielte darauf, die 'subjektive' Seite von Prozessen des Geheimnisverrats, des Loyalitätsbruchs und des ideologischen Übergangs in den Blick zu bekommen. Diese Fokussierung auf Fragen der Subjektivität ergab sich nicht zuletzt aus einer Reflexion darauf, was eigentlich den Verrat ausmacht. Viele neuere Arbeiten betonen den Aspekt des Geheimnisverrats, der illegitimen Weitergabe eines abgekapselten, 'sekretierten' Wissens. Das Projekt ging jedoch davon aus, dass die Wirklichkeit des Verrats damit keineswegs ausgeschöpft ist. Der Skandal und damit der Kern des Verrats ist nicht in dem informationspolitischen Nachteil zu suchen, denen bewirkt; er besteht im Bruch eines Versprechens, in der Verletzung eines Vertrauens- oder Verpflichtungsverhältnisses. Die methodische Orientierung der Untersuchung ergab sich aus dem populären Bild vom Verrat als Zerstörung einer Bindung, als 'Zerreißen eines Bandes'. Gemeint ist damit üblicherweise das gesellschaftliche Vertrauensverhältnis, das durch den Verrat wie durch kein anderes Ereignis erschüttert wird. Doch lässt sich das Bild noch weiter fassen: Das für den Verrat charakteristische Spiel von Bindung und Gegenbindung betrifft nicht nur das 'soziale Band', sondern auch das Verhältnis der Subjekte zu sich selbst und die zu einer gewissen Zeit herrschende Form der Wahrheitsbindung. Gerade weil hier soziales Band, Subjektivität und Wahrheit in so schreiender Weise auf dem Spiel stehen, ist das Verratsgeschehen in der Lage, etwas über die Konstitution dieser Bindungsverhältnisse auszusagen. Im Projekt wurde der Verrat entsprechend als ein Indiz betrachtet, ein 'verräterisches' Zeichen, das Auskunft darüber gibt, welche Kräfte der Kohäsion und der Auflösung in einer gegebenen historischen Konstellation miteinander im Streit liegen und welche Vorstellungen von Macht, Subjektivität und Wahrheit sich jeweils daraus ergeben. Die aus dem Projekt hervorgehende, noch nicht abgeschlossene Monographie entwickelt dieses symptomatologische Lektüreverfahren anhand einer Reihe von exemplarischen Verratskomplexen von der 'klassischen Moderne' des Verrats (Moskauer Prozesse, Kollaboration und Widerstand im besetzten Frankreich, Phänomene des Doppellebens im Kalten Krieg) über das allmähliche 'Verschwinden' des Verrats in den 1970er und 80er Jahren bis zu seiner Wiederkehr zu Beginn des 21. Jahrhunderts - sowohl als Farce (die rechtspopulistische Rede von 'Big Lie' und 'Volksverrat') als auch als Tragödie (War on Terror, Whistleblowing). Eine unvorhergesehene Wendung hat die Beschäftigung mit dem Thema durch den russischen Krieg gegen die Ukraine erfahren, der in mehrfacher Hinsicht als ein gespenstisches Re-enactment aller aus dem 20. Jahrhundert bekannten Verratsmotive erscheint. Eine Herausforderung des Projekts besteht darin, dem heutigen Wiederauftauchen archaischer, längst überwundener Loyalitätsforderungen und Feinderklärungen diagnostisch gerecht zu werden.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • »Unter Einfluss. Im Umkreis des Verrats«. In: Rebekka Ladewig und Angelika Seppi (Hg.): Milieu Fragmente. Technologische und ästhetische Perspektiven, Leipzig: Spector Books, 2020, S. 159-170
    Stephan Gregory
 
 

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