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Anatomische Zuordnung von Kopfschüssen anhand der Analyse von hirnregionsspezifischer RNA-Expression in ballistischen Rückschleuderspuren

Fachliche Zuordnung Public Health, Gesundheitsbezogene Versorgungsforschung, Sozial- und Arbeitsmedizin
Pathologie
Förderung Förderung von 2018 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 395584551
 
Erstellungsjahr 2022

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt erstreckte sich über mehrere in ihren Erkenntnissen aufeinander aufbauende Einzelstudien, deren Ergebnisse zur Verbesserung von Forschung und Anwendung in der molekularen Ballistik beitragen. Zunächst wurde ein anatomisch korrektes Schädelmodell für molekularballistische Experimentalbeschüsse etabliert, die Analysierbarkeit des Aufbaus und der resultierenden Spuren bestätigt und mit Hilfe von Hochgeschwindigkeitsaufnahmen Backspatterprozesse visuell festgehalten sowie die Nutzbarkeit des Modells vergleichend mit Erkenntnissen aus der Literatur bezüglich früherer Modelle und Erfahrungen aus Realfällen bestätigt. Dies stellt einen weiteren Teilschritt hin zu immer mehr realitätsnahen Simulationsaufbauten zum Zwecke der Forschung und Tatrekonstruktion dar. In einer ausführlichen, quantitativen Studie wurde dieser Modellaufbau dann benutzt, um eine Korrelation zwischen der Schussentfernung, der Menge an DNA extrahiert aus Backspatterspuren sowie der Wundkanalbeschaffenheit abzuleiten. Mit je einer Pistole und Revolver handelsüblicher Marken und Kaliber wurden die relevantesten Faustfeuerwaffen abgedeckt. In den für Backspatter hauptsächlich relevanten Nahschussentfernungen (zwischen 0 und 50 cm) konnte anhand der Ergebnisse gefolgert werden, dass keine berechenbare Korrelation besteht und sich Rückschlüsse auf die Schussentfernung in einem singulären Schussereignis nicht anhand von DNA-Menge oder Wundkanalbeschaffenheit ableiten lässt: weder sprechen hohe Mengen gesichert für eine geringe Distanz oder einen absoluten Nahsschuss, noch kann bei geringen Mengen eine solche Nähe ausgeschlossen werden. Es fanden sich bei Entfernungen gleich oder unter 30 cm immer mindestens ein Schuss mit mehr DNA-Menge als ein Schuss der nächst geringeren Entfernung. Das etablierte Modell sollte im Folgenden dann ebenso bei einer erstmals systematisch durchgeführten Studie zur Entstehung und Analysierbarkeit von Backspatter aus Schreckschusswaffen (Gas-, Signalwaffen) angewendet werden. Aus Realfällen war bereits bekannt, dass der Gasstrahl Knochen gelegentlich aber nicht immer durchdringen kann. Durch die Ähnlichkeit in den mechanischen Eigenschaften des Schädelmodells konnte auch hier das Modell gelegentlich aber nicht zuverlässig durchschlagen werden, weshalb auf ein modifiziertes Gelatinewürfelmodell zur Simulation eines Torsos zurückgegriffen wurde. In der Kombination von 3 Modellaufbauten mit 3 verschiedenen Schreckschusswaffen und 6 verschiedenen Munitionsarten konnte bei den durchgeführten absoluten Nahschüssen stets Backspatter in ausreichender bis großer Menge erzeugt, gesichert und analysiert werden. Das Gefährdungspotenzial dieser unterschätzten Waffen wurde durch die Versuche und eine erweiterte exemplarische Darstellung demonstriert. In einem Übersichtsartikel wurden schließlich 10 Jahre molekularballistische Forschung zusammengefasst und daraus gewonnene Erkenntnisse für praktische Anleitungen sowohl zur Anwendung in der Routinearbeit als auch zur Konstruktion molekularballistischer Modelle für experimentelle Beschüsse in der Forschung aufbereitet und abschließend ein Blick auf zukünftige Anwendungen und Perspektiven der molekularen Ballistik geworfen. Im Folgeprojekt wurde eine Erweiterung der bereits in der Routine benutzten RNA-Analyse zur (Körperflüssigkeits- und) Gewebebestimmung hinsichtlich einer verbesserten Kontextualisierung von Spurenmaterial angestrebt. Der Schädel hat als Trefferzone eine besonders relevante kriminalistische Bedeutung, daher wäre eine Subdifferenzierung von verschiedenen Hirnregionen anhand von Gewebsspuren zur Tatrekonstruktion sinnvoll und relevant. Die durchgeführte Methode mit RNA-Sequenzierung von Hirngewebsproben verschiedener Areale und Leichen erbrachte als Ergebnis nur geringe Unterschiede in der Expression von forensisch analysierbarer RNA zwischen den untersuchten Bereichen. Zwei mögliche mRNA Kandidaten zur Subdifferenzierung des Hinterhauptlappens wurden selektiert, konnten aber in einer folgenden Validierungsstudie nicht als mögliche Marker bestätigt werden. Die geringen zellbiologischen Unterschiede in der Hirnrinde lassen eine forensisch nutzbare Unterscheidung offenbar nicht zu. In der Gesamtschau tragen die gewonnenen Erkenntnisse gleichermaßen dazu bei, die Möglichkeiten und Potentiale der molekularen Ballistik in Forschung und Anwendung kenntlich zu machen, zeigen aber zugleich auch auf, welche neuen Fragestellungen sich ergeben und wo weiteres Verbesserungs- und Erweiterungspotenzial, gerade im Bereich der Konstruktion von Modellsystemen und der Spurenkontextualisierung, besteht. Die hohe Anzahl von Schusswaffendelikten sowie Feuerwaffen in Privatbesitz, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, belegen zweifellos die Relevanz molekularballistischer Forschung und die Möglichkeit aber auch Notwendigkeit dieser Disziplin, zur Aufklärung von Delikten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit mit modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen beizutragen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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