Kompensation der Rückfederung durch Spannungsüberlagerung bei der Umformung von höchstfesten Stahlblechwerkstoffen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Anwendungsmöglichkeiten von hoch- und höchstfesten Stahlblechwerkstoffen sind in der Automobilindustrie immer noch stark eingeschränkt, da bezüglich deren Umformbarkeit unter komplexen Spannungszuständen und deren Rückfederungsverhalten in Kombination mit der Bauteilgeometrie bislang nur ein begrenztes Wissen vorhanden ist. Dieses Forschungsvorhaben befasste sich mit der Untersuchung des Rückfederungsverhaltens und der Kompensation von rückfederungsbedingten Formabweichungen bei der Umformung von solchen hoch- und höchstfesten Stahlblechwerkstoffen. Mit Blick auf eine möglichst genaue Simulation der Rückfederung hochfester Stahlbleche erfolgten zu Beginn des Projektes tiefgehende Werkstoffcharakterisierungen mit anschließender, umfangreicher Modellierung der untersuchten Werkstoffe (DP 980 und DP 1180). Dabei wurde neben der isotropen auch die kinematische Verfestigung betrachtet, sowie die dehnungsabhängige Reduzierung des E-Moduls. Anhand der hierbei erzielten Ergebnisse bzw. Messwerte und -kurven wurden verschiedene Materialmodelle für die Simulation mit Hilfe des Programms LS-DYNA parametrisiert (*MAT_36, *MAT_37 und *MAT_125). Anschließend wurde die Genauigkeit der simulativen Rückfederungsvorhersage unter Einsatz der verschiedenen Materialmodelle anhand von konventionell tiefgezogenen Realbauteilen aus den untersuchten Werkstoffen analysiert. Dabei konnte einerseits festgestellt werden, dass die Rückfederungssimulation mittels relativ einfacher Materialmodelle, welche grundsätzlich lediglich die isotrope Verfestigung des untersuchten Stahlblechs berücksichtigen, signifikante Abweichungen zu den Versuchsergebnissen aufweisen. Demgegenüber zeigte die Simulation am Beispiel eines hutförmigen Bauteils unter Einsatz eines isotrop-kinematischen Materialmodells (*MAT_125), welches zusätzlich die Beschreibung des Bauschinger-Effektes und der dehnungsabhängigen Reduzierung des E-Moduls ermöglicht, relativ kleine Abweichungen zum Experiment. Zudem wurde festgestellt, dass nach dem konventionellen Umformen des Hutprofils aus den betrachteten Werkstoffen gravierende rückfederungsbedingte Formabweichungen auftreten. Um die Ursache für diese sehr starken Formabweichungen insbesondere im Zargenbereich zu identifizieren, wurden die am Ende des Umformvorganges im Bauteilvolumen wirkenden Spannungen anhand der Simulationsergebnisse analysiert. Dabei konnte festgestellt werden, dass vor allem im Zargen- und Radiusbereich (von Innen- und Außenseite in Meridianrichtung) am Ende des Umformens unterschiedliche Spannungsverteilung mit ausgeprägten Differenzen wirken. Um diese Spannungsverteilungen entsprechend beeinflussen zu können, wurde daher eine Umformmethode gesucht, mit der das Werkstück während des Ziehvorgangs über die Stempelradien mehrfach herum- und zurückgebogen werden. In diesem Zusammenhang wurde ein neues Verfahren entwickelt, bei dem die Platine wechselseitig einläuft. Mit dem Ziel, eine optimale Platineneinlaufkinematik beim Ziehen mit wechselseitigem Platineneinlauf bestimmen zu können, wurde zunächst am Beispiel eines hutförmigen Bauteils eine geeignete Vorgehensweise ausgearbeitet. Diese analytische Vorgehensweise basiert auf der im Vorhaben erlangten Erkenntnis, dass für ein ideales Ziehergebnis die Seite des Platineneinlaufes während des Ziehvorganges dreimal gewechselt werden muss (die Platine ist hierbei mittig zur Stempelstirnfläche positioniert). Dabei muss die Platine in der ersten und der dritten Prozessstufe auf der derselben Seite jeweils um die Hälfte jenes Platineneinlaufes eingezogen werden, welcher in der zweiten Prozessstufe auf der gegenüberliegenden Seite realisiert wurde. Darauf basierend können die Ziehtiefen, bei denen die Seite des Platineneinlaufes gewechselt wird, unter Berücksichtigung der Längengleichheit des Profilquerschnittes und der Platinenbreite analytisch bestimmt werden. In diesem Zusammenhang zeigten sowohl die Simulations- als auch die Versuchsergebnisse, dass nach dem Tiefziehen mit wechselseitigem Platineneinlauf deutlich reduzierte, teilweise kaum noch erkennbare S-förmige Krümmungen der Zargen im Profilquerschnitt verbleiben. Um diese Krümmungen weiter kompensieren zu können, wurde nach dem Tiefziehen mit wechselseitigem Platineneinlauf eine zusätzliche Stufe eingeführt, in der die Bauteilzargen durch Aufbringen einer höheren Blechhalterkraft beidseitig erneut plastisch gestreckt wurden. Diesbezüglich zeigten die Simulationsergebnisse, dass dadurch die noch erkennbaren Krümmungen der Zargen aufgrund der zusätzlichen Streckziehbelastung beinahe vollständig kompensiert werden können. Darüber hinaus wurde ein Werkzeugkonzept entwickelt und gefertigt, mit welchem die vorabbestimmte Platineneinlaufkinematik in einem einzelnen Pressenhub umgesetzt werden kann. Mit diesem Werkzeug wurde das neue Verfahren am Beispiel eines zweifach gekrümmten hutförmigen Bauteils experimentell validiert. Auch hierbei konnten die im konventionellen Tiefziehprozess auftretenden Rückfederungen weitgehend kompensiert werden. Schließlich wurde die Methode auf eine andere, geometrisch komplexere Bauteilgeometrie erfolgreich übertragen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Prediction and reduction of springback in 3D hat shape forming of AHSS, Procedia Manufacturing 15 (2018), s. 660-667
Konzack, S., Radonjic, R., Liewald, M., Altan, T.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.promfg.2018.07.296) - Enhanced accuracy in springback prediction for multistage sheet metal forming processes, Proceedings of the 9th Congress of the German Academic Association for Production Technology (WGP), S.111-150, 2019
Briesenick, D., Liewald, M., Radonjic, R., Karadogan, C.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-662-60417-5_11) - New process design for reduction of springback by forming with alternating blank draw-in, Procedia Manufacturing 29 (2019), s. 217-224
Radonjic, R., Liewald, M.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.promfg.2019.02.129) - Towards springback compensation when forming structural parts of modern lightweight car bodies, 39th SENAFOR Conference, Brazil, 2019
Liewald, M., Radonjic, R., Briesenick, D.
- Kompensationsstrategien von Rückfederungseffekten beim Umformen von hochfesten Stahlblechwerkstoffen, Institut für Umformtechnik (Universität Stuttgart), 2020
Radonjic, R.
(Siehe online unter https://doi.org/10.18419/opus-11070) - Process design for the forming of hat shaped sheet metal parts with alternating blank draw-in, Proceedings of New Developments in Sheet Metal Forming, S. 163-172, 2020
Radonjic, R., Liewald, M.
- Compensating the springback of ultra-high-strength steel parts by specific stress superposition during sheet metal forming, IOP Conf. Ser.: Mater. Sci. Eng. 1157 012037, 2021
Radonjic, R., Liewald, M.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1088/1757-899X/1157/1/012037)