Detailseite
Projekt Druckansicht

"Pferdemädchen": Struktur und Sinnlichkeit einer jugendkulturellen Figur

Antragstellerin Dr. Anja Schwanhäußer
Fachliche Zuordnung Ethnologie und Europäische Ethnologie
Förderung Förderung von 2018 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 396475051
 
Mädchen, die viel Zeit mit Pferden verbringen, bilden eine Jugendkultur, die konventionell feminin konnotiert ist. In der Figur des Pferdemädchens, so die Ausgangsüberlegung des Projekts, verdichten sich gesellschaftliche Ordnungen (Geschlecht, Mensch/Tier, Alter) und ihre Subversion in unerwarteter, subkulturspezifischer Weise. Um die jugendliche Figur in ihrer Struktur und Sinnlichkeit verständlich zu machen, soll eine ethnografisch-kulturanalytische Studie unternommen werden, die methodisch in der Tradition der Ethnografie der Subkulturen steht und diese zugleich herausfordert. Dies erfordert forschungspraktisch eine Feldforschung in zwei Reithöfen, bei der irreduzibel sinnliche Praxen wie das 'wortlose Verstehen', Zuneigung und Bewunderung sowie das widersprüchliche Verhältnis von Hingabe und Kontrolle mit ethnografischer Sensibilität teilnehmend beobachtet werden. Im Stil von klassischen Jugendgang-Studien wird dabei untersucht, wie soziale Dynamiken der Mädchen-Gruppen und die Herausbildung eines kollektiven Stils mit und durch das Pferd strukturiert und gestaltet werden. Bei den Reithöfen handelt es sich um einen eher oberschichtlichen und einen mittel- bis unterschichtlichen Reithof. Diese Forschungsorte wurden ausgewählt, um der Frage nachzugehen, ob und inwiefern die Figur des Pferdemädchens 'populär' ist, das heißt, Milieugrenzen überschreitet. Insgesamt wird das "Pferdemädchen" als eine "kulturelle Figur" perspektiviert: im Sinne eines Wechselspiels von alltagspraktischen, sinnlichen Stilisierungen, medialen Repräsentationen und interaktionsbasierten Etikettierungen, und nicht einfach als Gruppe. Deshalb sollen auch die von den Mädchen genutzten Medien sowie internetbasierte soziale Medien qualitativ-kulturwissenschaftlich analysiert werden, um die Herstellung und den Charakter dieser kulturellen Figur in der Gesamtheit zu behandeln. Das jugendliche, spezifisch weibliche Begehren wurde von Anna Freud bereits in den 1960er Jahren als "a little girl's horse craze" identifiziert. In der ethnografischen Jugendsubkulturforschung wurde diese Figur hingegen bis heute kaum beachtet. Dies erklärt sich durch die tendenziell maskulinen Forschungsparadigmen der Subkulturstudien, aber auch durch die Logik des jugendsubkulturellen Feldes selbst und der Position konventioneller Weiblichkeit in ihm. Mädchen scheinen in den Subkulturstudien in der Regel marginal sowie auf das Haus fokussiert zu sein, oder sie agieren als radikale Rebellinnen im Sinne der "riot grrrls". Wenn "Pferdemädchen" in Erscheinung treten, dann als ironischer Bezugspunkt. Tatsächlich führt diese Figur aber Dynamiken weiblicher Ex- und Inklusion, Abweichung und Kompromissbildung vor Augen, die in einem eigenen Referenzrahmen gedeutet werden müssen. Sie stellt eine wohldefinierte Gegenwelt zu jungsdominierten Jugendsubkulturen dar, deren Erforschung eine Anpassung der Begrifflichkeiten der Ethnografie von (Jugend-)Subkulturen erfordert, die diese Disziplin insgesamt bereichert.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung