Modern Reproductive Medicine between Market and Morality in the Federal Republic of Germany (1970-1990)
Final Report Abstract
Die hier als Mikrostudie angelegte Analyse des bundesdeutschen Marktes für Reproduktionsmedizin in seiner Entstehungsphase zwischen 1970 und 1990, schließt eine Forschungslücke in der noch jungen Geschichtsschreibung zur Reproduktionsindustrie, die aus einer Makroperspektive globale Verflechtungen in den Blick nimmt und die zum Teil stark divergierenden nationalen Reproduktionsregimen zwar aufzeigt, aber nicht näher untersucht. Das Projekt knüpft hier an und zeigt, dass es zu kurz greifen würde, die Gründe für die restriktive Regulierung der bundesdeutschen Reproduktionsmedizin vorrangig mit den hierzulande in den 1980er Jahren besonders kontrovers geführten Debatten über die Risiken einer im Rahmen der IVF möglich gewordenen Verbindung von menschlicher Fortpflanzung und Gentechnologien und deren vermeintlichen eugenischen Kontinuitäten zu erklären. Die parallel stattfindende wissenschaftliche und massenmedial verbreitete Auseinandersetzung mit den NS-Euthanasieverbrechen verschärfte sowohl für Mediziner und die Bundesregierung den Druck, einen verantwortungsbewussten Umgang mit den bis dahin unregulierten neuen Reproduktionstechniken nachzuweisen. Die Entscheidung mit der Verabschiedung des Embryonenschutzgesetzes von 1990, welches die Reproduktionsmedizin als ersten Forschungsbereich umfassend strafrechtlich und damit besonders restriktiv regulierte, ist aber nicht allein vor diesem Hintergrund zu erklären. Vielmehr verdeutlicht das Forschungsprojekt, dass hier im Gegensatz zu den USA und Großbritannien neben einer allgemeinen Skepsis gegenüber Vermarktlichungsprozessen an Hochschulen und im Gesundheitswesen, die ab Mitte der 1970er Jahre ebenfalls zunehmend massenmedial begleitet und öffentlich diskutiert wurden, vor allem Standeskonflikte zwischen Medizinern durch eine rasant wachsende Anzahl niedergelassener Fachärzte und wissenschaftspolitische Interessen vor dem Hintergrund der „Kostendämpfungspolitik", erheblichen Einfluss auf die Marktentwicklung nahmen. Denn, während die IVF zwar zu einer Standardbehandlung an städtischen, privaten und Universitätskliniken wurde und die Zahl der niedergelassenen Kinderwunschzentren nach 1990 weiter expandierte, wurde reproduktionsmedizinische Forschung durch das Embryonenschutzgesetz massiv eingeschränkt, so dass universitäre Frauenkliniken weiterhin verstärkt auf andere, wissenschaftspolitisch unterstützte Forschungsschwerpunkte wie die gynäkologische Krebsforschung setzten und seitdem international kaum wettbewerbsfähig sind. Mit dem Embryonenschutzgesetz fanden die öffentlichen Debatten der 1980er Jahre einen vorläufigen Höhepunkt. Sie waren aber keineswegs beendet. Bis heute streiten nicht nur um Innovation bemühte Reproduktionsmediziner, sondern auch von Sterilität betroffene Frauen und Paare um Anerkennung bzw. die Teilhaben an bislang verbotenen Dienstleistungen wie Leihmutterschaft und Eizellspende. Dabei können Betroffene heute auf die von ehemaligen PatientInnen ausgebildeten Selbsthilfestrukturen zurückgreifen. Damit schreibt sich das Projekt die Geschichte als „Vorgeschichte der Gegenwart" ein und kann in den aktuellen Diskussionen um eine Reform des Embryonenschutzgesetzes als Grundlage dienen. Das aktuelle Interesse an dem Thema zeigte sich auch in der Anfrage einer Journalistin des Deutschlandfunks (DLF), die anlässlich des 40. Geburtstags des ersten in der Bundesrepublik mit Hilfe der IVF gezeugten Kindes Frau Lehner-Renken interviewte. Die Jubiläumssendung wurde am 15. April 2022 ausgestrahlt und ist seitdem in der Mediathek des DLF zugänglich (https://www.deutschlandfunk.de/vor-40-jahren-das-erste-deutsche-retortenbaby-wirdgeboren-100.html).
Publications
-
Zwischen Markt und Moral. Reproduktionsmedizin und ihre Akteure in der Bundesrepublik der 1980er Jahre, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 17 (2020), H. 2, S. 308-334
Lehner-Renken, Denise
