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Hellenistische Tempel und ihre Innenräume

Antragsteller Dr. Philipp Kobusch
Fachliche Zuordnung Klassische, Provinzialrömische, Christliche und Islamische Archäologie
Förderung Förderung von 2018 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 397267324
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Seit Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der griechischen materiellen Kultur stehen griechische Tempelbauten wegen ihrer Größe und Qualität im besonderen Fokus der Forschung. Dennoch wurde ihnen bis weit in die 2000er Jahre hinein eine Bedeutung im griechischen Ritual vielfach kategorisch abgesprochen: Die Architektur der Tempel wurde lediglich als Fassade verstanden, vor deren Hintergrund die zentralen Rituale am Altar außerhalb des Tempels stattfanden. Ihre Innenräume galten schlicht als Aufbewahrungsort des Kultbildes, die einem größeren Publikum verschlossen blieben. Erst seit den späten 1990er Jahren wurde dieses Bild in den altertumskundlichen Fächern vereinzelt in Frage gestellt, aber immer nur auf der Grundlage weniger Indizien. Die vorliegende Arbeit will durch eine explizit interdisziplinäre Zusammenstellung der archäologisch nachweisbaren funktionalen Objekte einerseits und der schriftlich überlieferten Handlungszusammenhänge andererseits eine tragfähige Grundlage erstellen, um das Spektrum nachweisbarer Verwendungsformen griechischer Tempelinnenräume beurteilen zu können. Die räumliche Disposition der Handlungen und Handlungsmöglichkeiten erlauben darüber hinaus eine Differenzierung und Charakterisierung der einzelnen Innenraumkompartimente. Grundlegende Prämisse für eine Beschäftigung mit Tempeln als Handlungsraum ist ihre selbstverständliche Betretbarkeit durch ein breites Publikum. Diese Prämisse kann mit einer großen Anzahl, hier erstmalig systematisch zusammengestellter literarischer und epigraphischer Quellen für viele Beispiele einwandfrei bewiesen werden. Die Nutzung der Tempel ist in erster Linie durch die zentrale Repräsentation der Gottheit, das Kultbild, bestimmt. Insbesondere die nachweisbaren kultischen Handlungen waren zumeist direkt darauf bezogen. Dies umfasst nicht nur Gebete und die Platzierung von Votivobjekten, sondern es ist auch die Existenz von fest installierten Opfervorrichtungen, insbesondere von Tischen, Opferstöcken und Räucherständern, nachweisbar. Sie zeigen, dass Tempelinnenräume neben dem Hauptaltar im Freien einen zentralen Ort für die (rituelle) Kommunikation mit der Gottheit darstellten. Dass ein solch hervorgehobener ritueller Raum immer auch ein wichtiger Ort sozialer Aushandlungs- und Kommunikationsprozesse war, ist naheliegend. Die nachweisbaren Formen sozialer Interaktion reichen vom Ausschluss bzw. der Privilegierung bestimmter Bevölkerungsgruppen über die individuelle und kollektive Repräsentation z. B. mittels performativer (Ritual-)Handlungen oder gegenständlicher Votive bis hin zur täglichen zwischenmenschlichen Kommunikation. Die reiche Ausstattung der Tempel mit meist besonders qualitätvollen Votiven machte griechische Tempel darüber hinaus zu einem Kulminationspunkt antiken Kunstschaffens und entsprechend dienten sie oft auch als bevorzugter Ort des Kunstgenusses und der Kunstrezeption. Ihre Verwaltung führte teils zu aufwändigen administrativen Abläufen im Tempelinnenraum, insbesondere wenn sie Teil eines aktiven Finanzinstituts (Tempelbank) waren. Die im Tempelinneren nachweisbaren Ausstattungsobjekte verweisen also auf eine vielschichtige Nutzung. Für das Verständnis des Phänomens Tempel ist aber entscheidend, dass sich Gewichtung und räumliche Anordnung der einzelnen Aspekte von Tempel zu Tempel zum Teil erheblich unterschieden. Dies wurde zum Beispiel durch eine variable Platzierung und Kombination einzelner funktionaler Vorrichtungen erreicht und durch eine ebenso variable Besuchersteuerung mit Hilfe von Schranken und Gittern unterstützt und kontrolliert. Daraus lässt sich erschließen, dass der in den Grundzügen stark normierten Tempelarchitektur kein einheitliches Nutzungskonzept zu Grunde lag – dies gilt insbesondere für einzelne Raumkompartimente, wie Pronaos oder Opisthodom. Vielmehr fanden in einem lokalen Aushandlungsprozess unterschiedliche Interessen und (nicht nur kultische) Anforderungen Berücksichtigung, die dem einzelnen Tempelinnenraum einen jeweils individuellen Charakter als Handlungsraum zuwiesen. Entgegen der verbreiteten Forschungsmeinung spielten griechische Tempelinnenräume demnach eine zentrale Rolle in den rituellen und sozialen Praktiken griechischer Kultur.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • The Usage of the Pronaos of Hellenistic Temples, in: A. Haug – A. Müller (Hrsg.), Hellenistic Architecture and Human Action – A Case of Reciprocal Influence. International Conference, Kiel, 30 Oct – 2 Nov 2018. Leiden: Sidestone Press Academics, 2020
    P. Kobusch
 
 

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