Soziale Ungleichheit beim Zugang zu prestigereichen Studienfächern: Das Zusammenspiel von Bewerbungsstrategien und Auswahlverfahren
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt untersucht am Beispiel der bundesweit zulassungsbeschränkten medizinischen Studienfächer, ob und warum Auswahlverfahren und -kriterien von Hochschulen im Zusammenspiel mit individuellen Leistungscharakteristika und Bewerbungsstrategien von Bewerber:innen zu Herkunftsunterschieden sowie Geschlechterunterschieden beim Zugang zu prestigereichen Fächern beitragen. Datengrundlage sind Bewerbungsregisterdaten der Stiftung für Hochschulzulassung (SfH) der Jahre 2012–2019, angereichert durch selbst zusammengestellte administrative Daten zu Auswahlkriterien und Wettbewerbssituation der Studiengänge, sowie eine selbst durchgeführte Onlinebefragung (mit drei Erhebungswellen) der Bewerber:innenkohorte 2018. Unsere Analysen zeigen, dass selbst in der hochgradig positiv selektierten Gruppe von Bewerber:innen für ein Medizinstudium soziale Herkunftsunterschiede in den Zulassungschancen beobachtet werden können. Welche Rolle spielen Auswahlkriterien hierfür? Erstens können Bewerbungsstrategien mit der sozialen Herkunft variieren aufgrund von Ressourcenunterschieden und Informationsasymmetrien. Unsere Analysen zeigen sechs Bewerbungsmuster/-strategien. Diese Muster spiegeln jeweils bestimmte Kombinationen an Strategien, Präferenzen und Restriktionen wider und korrelieren v.a. mit dem Leistungsprofil der Bewerber:innen und etwas mit der sozialen Herkunft. Herkunftsunterschiede zeigen sich v. a. in der Bedeutung geographischer Restriktionen versus allgemeiner Chancenmaximierung. Zweitens können Auswahlkriterien aufgrund sozial ungleicher Leistungsprofile zu Herkunftsunterschieden in den Zugangschancen führen. Diesbezüglich zeigt sich einen deutlichen Vorteil sozial privilegierter Bewerber:innen mit Blick auf die beiden zentralen (leistungsbezogenen) Kriterien im Auswahlprozess: Abiturdurchschnitt und Teilnahme sowie Ergebnisse in Studieneignungstests. Sozial schwächere Bewerber:innen haben hingegen durchschnittlich längere Wartezeiten. Schließlich zeigen multivariate Analysen, dass Herkunftsunterschiede in den Zulassungschancen fast vollständig durch Unterschiede in Abiturnoten und Testergebnisse erklärt werden können; Herkunftsunterschiede in der Wartezeit sowie den Bewerbungsmustern spielen eine untergeordnete Rolle. D.h., in Zulassungssystemen, in denen besonders leistungsbezogene Kriterien relevant sind, sind Bewerbungsmuster trotz strategischer Anreize von untergeordneter Bedeutung für soziale Ungleichheit beim Zugang. Entsprechend führen die beiden zentralen leistungsbezogenen Auswahlkriterien (Noten und Tests) zu einem doppelten Nachteil für sozial schwächere Bewerber:innen im Rennen um einen Studienplatz für eines der prestigereichsten Studienfächer Deutschlands. Mit Blick auf das Geschlecht zeigen unsere Analysen jedoch, dass die beiden Kriterien ausgleichend wirken, da Frauen im Durchschnitt bessere Abiturnoten haben, während Männer bessere Testergebnisse erzielen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Von wegen „einfach einschreiben“. Wie deutsche Hochschulen ihre Studierenden auswählen. WZBrief Bildung 37/November 2018. Berlin: WZB.
Finger, C.; C. Fitzner & J. Heinmüller
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Auswahlverfahren und deren Rückwirkung auf Bewerbung und Zulassung zum Medizinstudium. Soziale Herkunfts- und Geschlechterperspektiven. Kolloquium, 03.07.2019, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Claudia Finger
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Der Einfluss von Gatekeeping-Prozessen für soziale Ungleichheiten beim Zugang zu prestigereichen Studienfächern. Vortrag auf DGS-Frühjahrstagung der Sektion „Soziale Ungleichheit und Sozialstrukturanalyse“, 27.05.2019, WZB, Berlin
Claudia Finger
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Welche Rolle spielen Auswahlverfahren für soziale Herkunfts- und Geschlechterunterschiede beim Zugang zum Medizinstudium? Vortrag, BMBF Tagung Studieneingangstests unter der Lupe, 21.11.2019, Berlin
Claudia Finger
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Who gets the chance to become a doctor? The role of gatekeeping processes for social inequality in access to prestigious fields of study in Germany − Vortrag, Anglo-German Workshop Series on “Skill Formation in Context”, 12.04.2019, WZB, Berlin
Claudia Finger
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Who gets the chance to become a doctor? The role of gatekeeping processes for social inequality in access to prestigious fields of study in Germany − Vortrag, ECSR Conference, 13.09.2019, Université Lausanne
Claudia Finger
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Who gets the chance to study? The role of gatekeeping-processes for social inequality in German higher education; Vortrag, SOFI, 11.06.2019, Stockholm
Claudia Finger
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Test participation or test performance: Why do men benefit from test-based admissions to higher education? − Vortrag, RC28 spring meeting, 04.06.20, Turku University
Claudia Finger
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(Mis)Matched College Aspirations and Expectations: The Role of Social Background and Admission Barriers. European Sociological Review, 38(3), 472-492.
Finger, Claudia
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How experiences of success and failure influence inequality beliefs. Evidence from selective university admission; Vortrag, CIDER LERN Conference, 07.10.2021, Leibniz-Gemeinschaft, Berlin
Rebecca Wetter
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Test participation or test performance: Why do men benefit from test-based admissions to higher education? − Vortrag, 16.06.2021, University of Oxford
Heike Solga
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Test participation or test performance: Why do men benefit from test-based admissions to higher education? − Vortrag, 23.04.2021, Science Po, Paris
Heike Solga
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The role of individual experiences for inequality beliefs; Vortrag, Virtual Inequality Brownbag Series, 10.05.2021, Online
Rebecca Wetter
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Why do men benefit from test-based admissions to higher education? − Vortrag, 15.06.2021, Maastricht University
Claudia Finger
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Do experiences of success and failure influence beliefs about inequality? Evidence from selective university admission; Vortrag, ECSR Conference, 06.07.2022, University of Amsterdam
Rebecca Wetter
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Mitwirkung am Podcast “In guter Gesellschaft“. Folge: Ist Deutschland wirklich eine Leistungsgesellschaft?
Finger, C. & R. Wetter
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Stratified diversity? Application strategies and admission chances for medical schools in Germany − Vortrag, RC28 spring meeting, 22.04.2022, LSE, London
Claudia Finger
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Stratified diversity? Application strategies and admission chances for medical schools in Germany − Vortrag, Workshop “Access to medical schools”, 11.11.2022, University College London
Claudia Finger
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Wer darf Medizin studieren? Theoretische und empirische Perspektiven auf soziale Ungleichheit beim Zugang zum selektivsten Studienfach Deutschlands; Vortrag, DZHW Forschungskolloquium, 17.10.2022, Hannover
Claudia Finger
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Who gets the chance to become a doctor? Selection criteria and social inequality in access to medical schools in Germany; Vortrag, Workshop “Access to medical schools”, 23.02.2022: WZB, Berlin
Claudia Finger
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Wie Ungleichheit verstanden wird. Eigene Erfahrungen beeinflussen, ob junge Erwachsene an Erfolg durch Anstrengung oder an den Zufall glauben. WZB- Mitteilungen 3(177): 18-21.
Wetter, R. & C. Finger
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Do Experiences of Success and Failure Influence Beliefs about Inequality? Evidence from Selective University Admission. Social Psychology Quarterly, 86(2), 170-194.
Wetter, Rebecca & Finger, Claudia
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Junge Wissenschaft trifft Politik. Im Gespräch mit Bundesministerin für Bildung und Forschung Bettina Stark-Watzinger. Podiumsdiskussion, 28.02.2023, WZB, Berlin
Claudia Finger & Rebecca Wetter
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Zugang zu medizinischen und pharmazeutischen Studiengängen in Deutschland: Bewerber*innenbefragung (Wintersemester 2018/19)
Finger, C. & R. Wetter & H. Solga
