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Die "post-klassischen" Isländersagas neu gelesen

Fachliche Zuordnung Europäische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften
Förderung Förderung von 2018 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 400154111
 
Erstellungsjahr 2023

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Aufgrund der Konzentration der Sagaforschung auf die ‚klassischen‘ Isländersagas (Íslendingasögur) aus dem 13. Jahrhundert wurden die so genannten ‚post- oder nachklassischen‘ Sagas aus dem 14. und 15. Jahrhundert sowie andere Sagagattungen nicht angemessen untersucht. In jüngster Zeit haben sich die Ansichten über diese Texte geändert, aber eine systematische Neubewertung der ‚postklassischen‘ Íslendingasögur stand noch aus. Im Rahmen dieses Projekts wurde eine Gruppe von Texten, die mehr als ein Drittel der Íslendingasögur ausmacht, umfassend neu gelesen. Frühere Forschung ging davon aus, dass diesen ‚postklassischen‘ Sagas die sozialen Aspekte fehlten, die als charakteristisch für die ‚klassischen‘ Sagas gelten. Stattdessen wurden ihnen eine binär aufgebaute Handlung zugeschrieben, die aus dem Konflikt zwischen übertrieben gezeichneten Heldenfiguren und in Einzelepisoden auftretenden paranormalen Gegenspielern besteht. In neueren Studien werden zunehmend ‚klassische‘ und ‚postklassische‘ Sagas nebeneinander gelesen, was zeigt, dass nur ein umfassender Ansatz es erlaubt, diese Gattung in ihrer Gesamtheit zu verstehen. Frühere Wertungen wurden jedoch bislang nicht aufgegriffen und das ‚postklassische‘ Korpus nicht als Ganzes betrachtet, so dass eine umfassende Lektüre aller ‚postklassischen‘ Sagas den Ausgangspunkt des Projekts bildete. Anstatt von einer Dichotomie aus Held und Paranormalem auszugehen, wurde der Sagakonstruktion eine Dreiecksbeziehung zwischen dem Einzelnen, dem Paranormalen und dem Sozialen zugrunde gelegt. Jeder dieser Aspekte wurde zunächst einzeln betrachtet, ebenso wie die Fälle, in denen die Grenzen zwischen ihnen verschwimmen. Außerdem wurde ein neuer Ansatz für die vermeintliche Fiktionalität und den Eskapismus dieser Sagas formuliert, der auf ‚possible worlds theory‘ (PWT) basiert. Somit wurden narratologische Theorien zusammen mit soziologischen und psychologischen Ansätzen zu sozialer Interaktion, Trauma und Zugehörigkeit angewandt, um ein umfassenderes Bild von Erzählstruktur, Figurenkonstruktion, Begegnungen mit dem Paranormalen, sozialer Vernetzung, sowie des Weltenbaus dieser Sagas zu erhalten. Diese umfassende Methodik ermöglichte es, diese Texte vor ihrem soziokulturellen Hintergrund und als Widerspiegelung der realen Belange zu lesen, die in ihre Erzählwelten eingearbeitet wurden. Diese gründliche Neubewertung der Erzählungen, der Interaktionen zwischen den Figuren und ihres sozialen Kontextes trägt zu einem umfassenderen Verständnis des Íslendingasögur als Ganzes bei. Sie hat zudem neue Untersuchungsbereiche in der altnordistischen Forschung erschlossen, insbesondere PWT-informierte Lesarten. Abschließend wurde gezeigt, dass die ‚postklassischen‘ Sagas in ihrem spätmittelalterlichen Kontext betrachtet werden müssen, in dem sie keine Abweichung von der Norm darstellen, sondern Teil einer größeren Auseinandersetzung mit soziokulturellen Entwicklungen sind, die sich auch in anderen Gattungen widerspiegelt.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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