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Zufall und Kontrolle Eine Untersuchung zu den Grundlagen der moralphilosophischen und strafrechtlichen Zurechnungslehre

Fachliche Zuordnung Strafrecht
Förderung Förderung von 2017 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 400873055
 
Die Arbeit greift die moralphilosophische Diskussion um moral luck auf und überträgt sie auf das Strafrecht. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass moralische ebenso wie strafrechtliche Bewertungen eines Verhaltens unvermeidlich von Umständen abhängen, die außerhalb der Kontrolle desjenigen liegen, dessen Verhalten bewertet wird. Es fragt sich, ob diese Bewertungen dennoch gerechtfertigt werden können.Die Untersuchung identifiziert zunächst eine präinstitutionelle Idee von Verdienst als Ursache des Unbehagens an der Zufaltsabhängigkeit unserer Bewertungspraxis: Es gibt die subjektive Erwartung, dass bestimmte Bewertungen dem individuellen Verdienst des bewerteten Akteurs entsprechen.Auf der Grundlage sprachanalytischer Überlegungen zu dem implizit erhobenenRichtigkeitsanspruch verschiedener Typen von normativen Bewertungen wird sodann erläutert, dass zumindest Aussagen über die moralische oder strafrechtliche Verantwortlichkeit einer Person den individualistischen Richtigkeitsmaßstab des Verdienstes anerkennen. Dieser Umstand gibt Aussagen über die Verantwortlichkeit eine besondere Dimension der Rechtfertigung im Vergleich zu anderen Arten moralischer und rechtlicher Bewertung: Mit der Zurechnung von Verantwortlichkeit wird zugleich eine Nachteilszufügung als intrinsisch angemessene Reaktion begründet.Die Zurechnung von Verantwortlichkeit erweist sich somit als eine spezifische Form des Framing der Frage nach der Rechtfertigung einer Nachteilszufügung. Sie erschwert insbesondere die Berücksichtigung extrinsischer Gesichtspunkte, die gegen die Zufügung eines Nachteils sprechen können. Im Zentrum dieses Framing-Effekts steht der Begriff der Schuld, der für die Rechtfertigung ausschließlich auf den Akteur verweist.Die Untersuchung zeigt allerdings, dass sich diese rechtfertigende Dimension der Zurechnung moralischer oder strafrechtlicher Verantwortlichkeit nicht begründen lässt. Der Akteur verfügt nur über eine unzureichende Kontrolle über die Umstände, welche ,die Zurechnung begründen. Insbesondere reicht die Kontrolle des Handelnden über sein willensbedingtes Verhalten nicht, um die intrinsische Angemessenheit der Nachteilszufügung zu begründen. Rechtfertigen lässt sich lediglich eine schwächere Form der Angemessenheit einer Nachteilszufügung mit Blick auf extrinsische Gesichtspunkte.Am Ende der Untersuchung steht somit das Ergebnis, dass unsere Praxis der Zurechnung strafrechtlicher Verantwortlichkeit einen Richtigkeitsanspruch erhebt, den sie weder einlösen kann, noch einlösen will. Um Anspruch und Praxis wieder in Einklang zu bringen und damit die Integrität des Strafrechts wiederherzustellen, bedarf es einer Anpassung der Formen und Begriffe, in denen sich die Zurechnungspraxis vollzieht. Zu verzichten ist insbesondere auf den Begriff der Schuld. Zugleich bedarf es einer Neubestimmung des Richtigkeitsanspruchs, dem die Zurechnung strafrechtlicher Verantwortlichkeit genügen soll.
DFG-Verfahren Publikationsbeihilfen
 
 

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