Die politische Differenz des Lebens. Zur Neukonzeption der Krise von Staat und Gesellschaft
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt "Die politische Differenz des Lebens" zielte darauf ab, zwei Stränge der philosophischen Diskussion über die moderne Form der Politik und ihre Krise zusammenzuführen: zum einen die Diskussion über die Differenz zwischen Staat und Gesellschaft und zum anderen den Diskurs über Biopolitik. Das Projekt ging davon aus, dass man durch deren Zusammenführung nicht nur besser verstehen kann, worin moderne Politik besteht, sondern auch, warum sie sich in der Krise befindet. In deskriptiver Hinsicht wollte das Projekt durch die Diskussion des biopolitischen Konzepts des Lebens ein neues und angemesseneres Verständnis des Verhältnisses zwischen Staat und Gesellschaft gewinnen. Gleichzeitig sollte normativ geklärt werden, wie die Differenz in diesem Verhältnis konzeptionalisiert werden könnte, um eine Antwort auf aktuelle politische Krisen zu geben. Zu diesem Zweck wurden drei Schritte als notwendig erachtet: erstens einen Begriff des Lebens zu entwickeln, der durch seine immanente Differenz bestimmt ist; zweitens die Differenz des Lebens von seinem Anderen (der politischen Form) ausgehend zu erarbeiten; drittens auf diese Weise das Verhältnis von gesellschaftlichem Leben und Staat neu zu denken. Die kritische Rekonstruktion des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft bildete den Hintergrund für eine Reihe von Veranstaltungen, die im ersten Jahr der Förderung stattfanden: Workshops mit Jean-François Kervégan, Marietta Auer und Joseph Vogl. Der interdisziplinäre Austausch in dieser Workshopreihe lieferte wichtige Erkenntnisse für die nächsten Schritte des Projekts. Gerade in der Krise, so zeigte sich, ist die Form des gesellschaftlichen Lebens so zu verstehen, dass sie als selbstregulierend gedacht wird und dennoch weder von der Politik getrennt noch auf sie reduziert werden kann. In einem nächsten Schritt organisierten wir eine internationale Konferenz zu Georg Lukács ("Self-Transformative Life: Lukács and the Critique of Capitalism"), da in seinem Werk Überlegungen zur Krise des modernen Staates eng und grundlegend mit einem spezifischen Lebensbegriff verbunden sind. Ziel der Tagung war es zu untersuchen, ob und inwieweit sich aus diesem Verständnis von Leben als selbsttransformativem Prozess deskriptive und normative Ressourcen gewinnen lassen. Damit trug die Veranstaltung zu einem besseren Verständnis des Begriffs einer "Potenzialität" des Lebens bei. Um auf die Überlegungen zum Verhältnis von Staat und Gesellschaft zurückzukommen, organisierten wir eine internationale Konferenz zum Thema "The Crisis of Freedom: Hegel's Elements of the Philosophy of Right after 200 Years", die 2022 stattfand. Diese Veranstaltung untersuchte die Logik und Relevanz jener sozialen und politischen Krisen, die Hegel in seinen Grundlinien thematisierte und die heute in veränderter Gestalt aktuell sind. Im selben Jahr fand die Abschlusskonferenz unseres Forschungsprojekts mit dem "The Return of the Authoritarian Character: Crises of Neoliberal Biopolitics". Ziel war es, die Erkenntnisse aus den drei Arbeitsfeldern des Projekts in der Interpretation und Analyse eines zeitgenössischen Phänomens zusammenzuführen, um die aktuelle Krisensituation durch unsere Überlegungen zu einer biopolitischen Konzeptualisierung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft deskriptiv genauer zu verstehen. In normativer Hinsicht haben wir uns von der Frage nach der Möglichkeit einer genuin demokratischen Biopolitik leiten lassen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Direito e violência. Estudos críticos, hrsg. von João Paulo Bachur/Antonio Martins, São Paula: Saraiva.
Menke, Ch.
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DO SINGULAR AO COMUM?. Revista Inter-Legere, 2(24), 81-117.
Bueno, Arthur
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Einheit im Normativen: Der Geist der Gesetze als Problem der Moderne. Schweizerische Zeitschrift für Philosophie, 78(StPh78).
Heller, Jonas
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Füreinander Sprechen. Zu einer feministischen Theorie der Repräsentation. Leviathan, 47(3), 331-353.
Martinez Mateo, Marina
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Simmel and the forms of in-dividuality. Religious Individualisation, 409-436. De Gruyter.
Bueno, Arthur
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The Value of Critique. Exploring the Interrelations of Value, Critique, and Artistic Labour, Frankfurt am Main: Campus.
Graw, I. & Menke, Ch.
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„Democratic Citizenship and Subjective Rights: Marx’s Riddle“, in: Olivier Beaud/Catherine Colliot-Thélène/Jean-François Kervégan (Hg.), Droits subjectifs et citoyenneté, Paris: Classiques Garnier, S. 97-107.
Menke, Ch.
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„Der Zwang zur Tragödie. Zur Selbstdurchbrechung des Politischen bei Carl Schmitt“, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie – Zweimonatsschrift der internationalen philosophischen Forschung 67/6, 952-973.
Heller, J.
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Economic pathologies of life. The Routledge International Handbook of Simmel Studies, 336-349. Routledge.
Bueno, Arthur
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Kommentar zu Teil II: Die Grenzen der Moral und die Demokratisierung der Grenze. Der Begriff des Flüchtlings, 199-206. J.B. Metzler.
Martinez Mateo, Marina
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Life-protecting neoliberalism: Hayek and the biopolitics of abortion in Chile. Economy and Society, 49(4), 596-618.
Martinez Mateo, Marina
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The Crisis of Liberalism. Debating Critical Theory, 225-244. The Rowman & Littlefield Publishing Group.
Menke, Christoph
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The Post-Depressive Constellation. Democracy and Brazil, 114-129. Routledge.
Bueno, Arthur
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Verfassung und subjektive Rechte. Die Idee subjektiver Rechte, 125-134. De Gruyter.
Menke, Christoph
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¿Qué viene después de la depresión? Ocho tesis sobre la crisis de la subjetividad neoliberal y sus implicancias políticas. Cuadernos de Teoría Social, 6(11), 95-120.
Bueno, Arthur
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„Naturverhältnisse in der Krise: Gesellschaftliches Handeln und natürliche Prozessualität in der COVID-19-Pandemie“, in: Zeitschrift für Praktische Philosophie 7/2, 467–498.
Heller, J.
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„Sicherheit im Namen der Freiheit. Die liberale Ordnung und das ‚Leben der Nation‘, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft 162, 43-57.
Heller, J.
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„The Non-Normative Order of the Social“, in: Navigating Normative Orders. Interdisciplinary Perspectives, hg. v. Matthias Kettemann, Frankfurt/New York: Campus, 59-74.
Martinez Mateo, Marina & Heller, Jonas
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Aufhören oder Weiterdenken? Zur Frage des Umgangs mit Carl Schmitt. Eine Debatte mit Jean-François Kervégan. Rechtsphilosophie, 7(2), 115-119.
Heller, Jonas & Martinez Mateo, Marina
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Autoritärer Neoliberalismus und Verfassungsgebung in Chile. Überlegungen zum Verhältnis von Diktatur und Rechtsstaat. Politik im Rechtsstaat, 239-260. Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG.
Martinez Mateo, Marina
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Critical Theory and New Materialisms. Routledge.
Rosa, H.; Henning, C.& Bueno, A.
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Pathology and vitality. Critical Theory and New Materialisms, 123-139. Routledge.
Bueno, Arthur
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Souveränität der Plattform. Eine Debatte mit Joseph Vogl, Zeitschriftenschwerpunkt mit Beiträgen von Joseph Vogl, Francesca Raimondi, Frieder Vogelmann und Ute Tellmann, in: Behemoth. A Journal on Civilisation 14/1 (Sonderausgabe).
Martinez Mateo, Marina & Heller, Jonas (Hg.)
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The Post-Depressive Constellation: From Political Effervescence to the Rise of Right-Wing Authoritarianism in Brazil. Krisis | Journal for Contemporary Philosophy, 41(1), 45-64.
Bueno, Arthur
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Zum Umgang mit Carl Schmitt. Eine Debatte mit Jean-François Kervégan, Zeitschriftenschwerpunkt mit Beiträgen von Marietta Auer, Klaus Günther, Jens Hacke, Anna-Bettina Kaiser und Jean-François Kervégan, in: Rechtsphilosophie. Zeitschrift für Grundlagen des Rechts (RphZ) 7/2.
Martinez Mateo, Marina & Heller, Jonas (Hg.)
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„Das Problem des Volkes. Möglichkeiten einer Kritik der Repräsentation“, in: M. Neubauer (et al.) (Hg.): Im Namen des Volkes. Zur Kritik politischer Repräsentation. Tübingen: Mohr Siebeck, 177–200.
Martinez Mateo, Marina
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„The Experiment of Freedom“, in: Emmerling, L. u.a. (Hg.): Museum | Futures, Wien-Berlin: Turia + Kant, S. 40-59.
Menke, Ch.
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De-Centering Global Sociology. Routledge.
Bueno, Arthur; Teixeira, Mariana & Strecker, David
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Ein gemeinsames Leben?. Abschied vom Individuum?, 91-116. Brill | Schöningh.
Bueno, Arthur
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The standpoint of the proletariat today. De-Centering Global Sociology, 161-177. Routledge.
Bueno, Arthur
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Theorie der Befreiung, Berlin: Suhrkamp.
Menke, Ch.
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„Die Vormacht des Allgemeinen. Über die Funktion des Rechts als ideologischem Staatsapparat bei Adorno und Neumann“, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie
Gurisch, S.
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Self-transformative life and social critique. Distinktion: Journal of Social Theory, 25(3), 427-434.
Bueno, Arthur & Gurisch, Simon
