Musikvideos, Szenemedien und Social Media – zur Aushandlung von Rassismus im deutschsprachigen HipHop
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Mit dem Projekt – in dem es thematisch um die Rekonstruktion von Rassismusdiskursen im deutschsprachigen Rap und methodisch um die Weiterentwicklung der Grounded-Theory-Methodologie für die Bewegtbildanalyse ging – wurde v.a. die Perspektive der Szene- und Jugendkulturanalyse als Gesellschaftsanalyse verfolgt und in ein Forschungsprogramm übersetzt, das mit seinem Fokus auf dem Digitalen und einem stärker soziologischen Zuschnitt neue Zugriffe für die sozial- und kulturwissenschaftliche Forschung zu Jugendkulturen aufzeigen sollte. Entgegen dem verbreiteten Ideal einer möglichst dichten Beschreibung von Szenen als weitgehend in sich geschlossene Stil- und Symbolwelten lag der Fokus auf: (1) gegenwärtige szeneprägende (Gesellschafts-)Entwicklungen (wie etwa Intergenerationalität und Digitalisierung), aber auch makrosoziologische Prozesse (Pluralisierung) und (2) entsprechend aktuelle Zeitdiagnosen (Postmigrantische Gesellschaft). Die Studie illustriert zudem, dass das Forschungsdesign mit seinem Fokus auf drei Welten (erste Welt: Audiovisuelle Produkte, die Gesellschaftsdiskurse aufgreifen; zweite Welt: digitale Anschlusskommunikationen an die Produkte und Diskurse; dritte Welt: digitale journalistische Kommentierung als metakommunikative Begleitung des Diskurses) als Impuls für eine breiter aufgestellte Forschung, die den Szenefokus transzendieren und unter dem Etikett der „qualitativen Analyse digitaler Kulturen" firmieren kann, nutzbar ist. Unsere Rekonstruktionen innerhalb jener drei Welten der Aushandlung, die Deutschrap als eine Arena ausmachen, zeigen, dass – anders als bei der Beantragung des Projekts skizziert – nicht allein die sogenannte Flüchtlingskrise für die Repolitisierung von Rap und den Zuwachs an polarisierten Auseinandersetzungen zu Rassismus, Ethnizität und auch Kultur verantwortlich zeichnet, sondern es v.a. die postmigrantische Gesellschaft mit ihren Nachverhandlungen in Bezug auf Anerkennung, Repräsentation, Macht und Inklusion ist, die die Vielzahl der Rassismusthematisierungen im Rap und ebenso vielfach deren unterschiedliche Kommentierungen leitet. Es geht damit um ein gesellschaftlich übergeordnetes Problem der Verarbeitung zunehmender Pluralisierungen, das hier im Hintergrund steht und als Kulturkampf gerade im deutschsprachigen Rap in Erscheinung tritt. Dabei zeigte sich auch, dass sich Rassismusthematisierungen im Deutschrap mitunter als Rassismuskritiken realisieren, die selbst Rassismus produzieren oder aber Vorschub leisten. Formen dieser Reproduktion wurden in der Antragsphase durchaus skizziert, auch wenn das teils szeneetablierte Narrativ von Rap als per se ‚antifaschistischer Kultur‘ im Vordergrund stand. Entlang unserer Analysen zeigt sich, dass ‚rechte Rapper‘ eine semantische Umdeutung der Marginalisierungserzählung zugunsten der Weißdeutschen vornehmen, um dies zum Kern ihrer subkulturellen Identitätspolitik machen. Zudem zeigte unsere Rekonstruktion, dass die Kritik an Deutschland im Sinne des „Deutschseins als abzulehnendes Sein" sowie des „Schwarzseins in Deutschland" auf ein Strukturproblem verweist, insofern es gesellschaftlich offenbar kaum gelingt, die durch Pluralisierungsherausforderungen entstehenden, tendenziösen Debatten rund um „Migration” und Ethnizität zu moderieren. Die Kulturkämpfe hinsichtlich der Frage, was Rassismus ist, wer von ihm betroffen ist, von ihm profitiert oder auch ihn praktiziert, bildet sich besonders stark im Rap ab. Innerhalb des gesellschaftlichen Feldes der Popkultur, dürfte Rap in Bezug auf diese Themen dann auch die wahrscheinlich sensibelste Artikulationsfläche bilden. Letzteres spricht dafür, die Szene weiterhin und v.a. mit Blick auf andere Gesellschaftsthemen, wie Geschlecht und Feminismus sowie angesichts divergenter generationaler Positionen dazu, in den Blick zu nehmen und diesbezügliche Forschung voranzutreiben.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Kopfnicker, Gangsigns und Bounce: Authentifizierende musikbegleitende Körperpraktiken im Rap. Stilbildungen und Zugehörigkeit (2019), 205-224. American Geophysical Union (AGU).
Eisewicht, Paul & Dietrich, Marc
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Stilbildungen und Zugehörigkeit. (2019). American Geophysical Union (AGU).
Böder, Tim; Eisewicht, Paul; Mey, Günter & Pfaff, Nicolle (Eds.)
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Visuelle Jugendkulturforschung: Trends und Entwicklungen. Diskurs Kindheits- und Jugendforschung / Discourse Journal of Childhood and Adolescence Research, 14(3-2019), 293-307.
Dietrich, Marc & Mey, Günter
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Perspektiven einer Audiovisuellen Grounded-Theory-Methodologie und ihr Potenzial im Forschungsfeld »digitale Jugendkulturen«. psychosozial, 43(2), 70-83.
Dietrich, Marc
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Samy Deluxe' Adriano Studien zur Popularmusik (2020, 2, 3), 113-124. American Geophysical Union (AGU).
Dietrich, Marc
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Skandal und Empörung (Schwerpunktthema). Berliner Debatte Initial, 31(2), 3-122
Dietrich, Marc; Mey, Günter & Seeliger, Martin
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40 Jahre Rap in Deutschland. Cultural Studies (2022, 9, 13), 247-270. American Geophysical Union (AGU).
Süß, Heidi & Dietrich, Marc
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Deutscher Gangsta-Rap III: Soziale Konflikte und kulturelle Repräsentationen. Deutscher Gangsta-Rap III (2022, 12, 31), 9-30. American Geophysical Union (AGU).
Dietrich, Marc & Seeliger, Martin
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Musikvideos systematisch analysieren. Anwendung der Analysesoftware MAXQDA im Rahmen der Audiovisuellen Grounded-Theory-Methodologie. ZQF – Zeitschrift für Qualitative Forschung, 22(2), 299-314.
Dietrich, Marc; Mey, Günter; Mancuso, Elena & Rech, Hendrik
