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Der mesolithische Bestattungsplatz von Groß Fredenwalde (Brandenburg) – späte Jäger-Sammler in einer sich wandelnden Welt

Fachliche Zuordnung Ur- und Frühgeschichte (weltweit)
Förderung Förderung von 2018 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 403845689
 
Erstellungsjahr 2023

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Mit dem DFG-Projekt zu dem mesolithischen Fundplatz auf dem Weinberg bei Groß Fredenwalde, der seit 1962 bekannt ist und nun mit modernen Methoden untersucht wurde, konnte erstmals für den deutschsprachigen Raum ein mesolithisches Gräberfeld mit mindestens zwölf Körperbestattungen bestätigt werden. Davon wurden drei Grablegen im Laufe der Projektarbeiten neu entdeckt. Zwei davon wurden im Block geborgen und unter Laborbedingungen untersucht; eine Bestattung verblieb vor Ort. Die Ausdehnung des Gräberfeldes konnte in drei Richtungen durch den Nachweis befundfreier Zonen eingegrenzt werden. In südwestlicher Richtung ergab hingegen ein Suchschnitt weitere Verfärbungen. Mindestens ein Befund kann – analog zu früheren Verfärbungen – vermutlich als weitere Bestattung interpretiert werden. Durch osteoanthropologische Studien und neues Archivmaterial kann für die 1962 entdeckten sechs Individuen die bisherige Interpretation als eine Mehrfachbestattung korrigiert werden, es handelt sich stattdessen vermutlich um eine Doppel-, eine Dreifachbestattung und ein einzelnes Kindergrab. Alle im Zuge der neuen Forschungen entdeckten Bestattungen stellen einzelne Körpergräber dar. Radiokarbondatierungen der zwölf Individuen sowie verschiedener Beigaben erlauben eine klare Zweiteilung der mittelsteinzeitlichen Belegung: Eine ältere Hauptphase ca. 6.200 bis 5.800 v.Chr. (11 Individuen) und eine einzelne spätere Bestattung aus der Zeit um 4.900 v.Chr. (1 Individuum) sind zu unterscheiden. Die Datierungen der menschlichen Überreste zeigen Süßwasser-Reservoireffekte (FRE), und dies erschwert die nähere Bestimmung des Belegungsbeginns im späten 7. Jahrtausend v.Chr. Die an Beigaben ermittelten AMS-Daten (ohne FRE) sprechen für einen Belegungsschwerpunkt am Beginn des 6. Jahrtausends v.Chr. Die Gräber der Hauptbelegungsphase liegen nah beisammen und respektieren sich jeweils räumlich, was für eine obertägige Sichtbarkeit bzw. Markierung der Grablegen spricht. Nur die deutlich jüngere Bestattung stört eine ältere Bestattung, was auf fehlende Kontinuität hindeutet. Die Untersuchung der Beigaben zeigt für beide Phasen klare Verbindungen nach Norden; hervorzuheben ist etwa ein verzierter Flintschneidendolch, der deutlich nach Südskandinavien weist. Von den zwölf nachgewiesenen Individuen konnten elf näher untersucht werden. Neben sechs erwachsenen Individuen (3 Männer, 3 Frauen) handelt es sich um fünf Kinder verschiedenen Alters. Die Analyse bestätigt den allgemein guten Gesundheitszustand der Individuen mit fehlender Karies, geringer Krankheitsbelastung und ohne Traumata. Lediglich jeweils ein Hinweis auf Skorbut und Rachitis in der Kindheit liegen vor. Die ältere Belegungsphase scheint zeitlich in oder kurz nach der ausgeprägten Kälteperiode des sog. 8.2 ka events einzusetzen, die wiederholt als Auslöser für Veränderungen interpretiert wurde (u.a. Gräberfeld Oleni Ostrov; Schulting et al. 2022). Die größere Kinderzahl unter den Toten, die Isotopenwerte der Kleinkindbestattung sowie einzelne Hinweise auf Skorbut und Rachitis weisen möglicherweise auf eine Mangelsituation in der älteren Belegungsphase hin. Paläogenetische Untersuchungen an sieben Individuen zeigen, dass die Menschen von Groß Fredenwalde zur Abstammungsgruppe (ancestry) der Western Hunter-Gatherers (WHG) gehören. Für die Individuen der älteren Belegungsphase lässt sich allerdings erstmals in Mitteleuropa auch ein genetischer Einfluss der Eastern Hunter- Gatherers (EHG) nachweisen. Darüber hinaus liegen innerhalb der älteren Belegungsphase zwei enge Verwandtschaftsbeziehungen vor, was gut zu der postulierten relativ kurzen Belegungsdauer passt. Die wichtige Rolle von aquatischen Ressourcen in der Ernährungsweise konnte mit weiteren 13C-/15N-Isotopendaten bestätigt werden. Die 3 Strontium-Isotopie spricht für Mobilität der Bestattungsgemeinschaft sowohl in saisonalen Zyklen als auch im Laufe des Lebens der Individuen; etwa die Hälfte der bestatteten Personen weist nicht-lokale Werte auf. Das deutlich jüngere Grab vom Beginn des 5. Jahrtausends v. Chr. (Befund 1/4) ist in seinem besonderen historischen Kontext zu sehen: Der in ungewöhnlicher Weise beigesetzte junge Mann (aufrechte Haltung, mehrstufiges Grabritual) lebte in einer Zeit, als erste Bauern der Linienbandkeramik bereits seit einigen Generationen in der Uckermark siedelten. Die paläogenetischen Analysen sprechen allerdings für eine rein mesolithische Abstammung des Individuums - nach vermutlich bis zu 300 Jahren der parallelen Existenz sind also keine Spuren einer Vermischung zu erkennen. Die außergewöhnliche, aufrechte Bestattung wurde eingehend interdisziplinär untersucht. Detailanalysen an den Knochen (Osteoanthropologie, Bissspurenanalyse) erlauben es, die Lebensumstände des Bestatteten und den Ablauf des Grabrituals konkret zu verstehen. Der Weinberg ist eine prominente Landmarke der Region, und mikroklimatisch begünstigte Sonderstandorte in der Umgebung, wie sein Südhang, waren – nach den Ergebnissen der Pollenanalyse – während der älteren Belegung wahrscheinlich nicht vollständig bewaldet und damit weithin als Offenland sichtbar. Surveys auf dem Berg selbst konnten keine mesolithischen Siedlungsaktivitäten nahe des Gräberfeldes belegen, was die besondere Lage unterstreicht und eine Funktion des Gräberfeldes als territorialer Marker der mesolithischen Gemeinschaft nahelegt. Spätmesolithische Oberflächeninventare sind erst in einiger Entfernung (3-4 km) nachgewiesen. Der in Sichtweite liegende Behrendsee bietet sich als Siedlungsstandort an. Begehungen ergaben hier keine archäologischen Belegungsspuren, Pollen-, Nichtpollen-Palynomorphe- und Sedimentanalysen seiner Ablagerungen deuten aber auf menschliche Präsenz und Aktivitäten mit Hilfe von Feuer in der unmittelbaren Umgebung des Sees im Atlantikum hin. Mehrere Funde von Peitschenwurmeiern weisen dabei darauf hin, dass das Seeufer insbesondere zwischen etwa 6000 und 5500 v. Chr. häufig aufgesucht wurde. Dieser Zeitraum fällt mit einer Phase maximaler Ausdehnung der atlantischen Offenlandflächen zusammen. Die Forschungen zu dem Gräberfeld auf dem Weinberg liefern damit insgesamt einen wichtigen Baustein zum Verständnis der mesolithischen Landschaftsnutzung, der Population vor und nach der Neolithisierung der Uckermark bzw. Norddeutschlands.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Step by step – The neolithisation of Northern Central Europe in the light of stable isotope analyses. Journal of Archaeological Science, 99, 66-86.
    Terberger, Thomas; Burger, Joachim; Lüth, Friedrich; Müller, Johannes & Piezonka, Henny
  • Im Lichte neuer Forschungen. Die „Mehrfachbestattung“ von Groß Fredenwalde, Lkr. Uckermark. Archäologie in Berlin und Brandenburg 2019, 44-48
    Kotula, A.; B. Jungklaus & T. Terberger
  • The Mesolithic cemetery of Groß Fredenwalde (north-eastern Germany) and its cultural affiliations. Lietuvos archeologija, 46, 65-84.
    Kotula, Andreas; Piezonka, Henny & Terberger, Thomas
  • First meetings? The Late Mesolithic and the Linear Pottery culture in Northeast Germany. Materiały Zachodniopomorskie Nowa Seria, 62, 2021, 165–195
    Terberger, T.; J. Kabaciński & A. Kotula
  • The Mesolithic „multiple burial“ of Groß Fredenwalde revisited. In: S. Gaudzinski-Windheuser/ O. Jöris (eds.), The Beef behind all Possible Pasts: The Tandem Festschrift in Honour of Elaine Turner and Martin Street. Monographien des RGZM 157.2, 2021, 671-688.
    Terberger, T.; A. Kotula; B. Jungklaus & H. Piezonka
  • Deutschlands ältester Bestattungsplatz. In: F. Klimscha/ L. Wiggering (eds.), Die Erfindung der Götter: Steinzeit im Norden (Hannover 2022) 66-71
    Kotula, A.
  • The unusual last journey of a flint knapper c. 7000 years ago - a late Mesolithic burial from Groß Fredenwalde (Brandenburg, NE- Germany). In: M. Grygiel/ P. Obst, Walking Among Ancient Trees. Studies in honour of Ryszard Grygiel and Peter Bogucki on the 45th anniversary of their research collaboration (Łódź 2022) 115-134
    Kotula, A.; B. Jungklaus; N. Lüdemann; H. Piezonka & T. Terberger
  • Versunkene Welten und ewige Jagdgründe – Die letzten Jäger-Sammler-Fischer des Nordens. In: F. Klimscha/ L. Wiggering (eds.), Die Erfindung der Götter: Steinzeit im Norden (Hannover 2022) 26-45
    Terberger, T.
  • Palaeogenomics of Upper Palaeolithic to Neolithic European hunter-gatherers. Nature, 615(7950), 117-126.
    Posth, Cosimo; Yu, He; Ghalichi, Ayshin; Rougier, Hélène; Crevecoeur, Isabelle; Huang, Yilei; Ringbauer, Harald; Rohrlach, Adam B.; Nägele, Kathrin; Villalba-Mouco, Vanessa; Radzeviciute, Rita; Ferraz, Tiago; Stoessel, Alexander; Tukhbatova, Rezeda; Drucker, Dorothée G.; Lari, Martina; Modi, Alessandra; Vai, Stefania; Saupe, Tina ... & Krause, Johannes
  • People, Economy and Identity – The 6th/ 5th Millenium south of the western Baltic Sea. In: D. Groß/ M. Rothstein (eds.), Changing Identity in a Changing World. Current Studies on the Stone Age around 4000 BCE (Leiden 2023) 279-297
    Terberger, T.; A. Kotula & H. Piezonka
  • The Site Groß Fredenwalde, NE-Germany, and the Early Cemeteries of Northern Europe. Open Archaeology, 9(1).
    Kotula, Andreas; Terberger, Thomas; Jungklaus, Bettina; Piezonka, Henny; Schenk, Thomas & Schopper, Franz
 
 

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