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Lateinamerika als Utopie Europas. Gemeinschaften im Zeichen instabiler Ordnung
Antragstellerin
Dr. Linda Maeding
Fachliche Zuordnung
Germanistische Literatur- und Kulturwissenschaften (Neuere deutsche Literatur)
Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft; Kulturwissenschaft
Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft; Kulturwissenschaft
Förderung
Förderung von 2018 bis 2023
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 404354183
Gegenstand des Projekts sind Entwürfe imaginärer Gemeinschaften in deutschsprachigen Lateinamerika-Darstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts, die in Reaktion auf europäische Krisenerfahrungen entstehen. Das Augenmerk lag bei der Rekonstruktion des Lateinamerika-Diskurses bisher vornehmlich auf der Darstellung von Alterität, hatte sich die Idee "Europa" doch seit der Eroberung im Kontrast zu Amerika formiert. Den Zusammenhang von Utopie und Kolonialismus, kennzeichnend für Teile dieses Diskurses, gilt es hingegen noch weitgehend zu erforschen: Lateinamerika-Konstruktionen sind nicht nur Gegenbilder Europas, sondern auch Orte, in die sich Utopien alternativer Gemeinschaften und d.h. Entwürfe eines imaginären anderen Europas einschreiben. Eine besondere Sensibilität für den Zwiespalt eines "ideellen Kolonialismus", der Wunschbilder gesellschaftlichen Zusammenlebens geographisch auslagert und dabei zugleich grundlegende Machtasymmetrien reproduziert, lässt sich bei aus nationalen Gemeinschaften ausgeschlossenen Autoren ausmachen. Hinter ihren Repräsentationen des Anderen verbergen sich oft auch Fantasien politischer (Um-)Ordnung. Amerika bildete sich im Bewusstsein Europas bereits früh zum Ort der Vogelfreien und Ausgestoßenen heraus und wurde zum bedeutenden Topos für exterritoriale Schriftsteller, deren Texte selbst im Zeichen einer utopischen Kolonisierung von Raum stehen: Ausgehend von der vielen Gattungstexten zugrunde liegenden Zwei-Welten-Struktur verwandelten sie das utopische Nirgendwo, das der kritisierten Gegenwart gegenübergestellt wird, in ein lokalisierbares Anderswo.Angesichts der Bedeutung Amerikas als Fluchtpunkt sollen Motive und Strategien identifiziert werden, mittels derer "Alte" und "Neue" Welt etablierte Zuschreibungen von Kolonisatoren und Kolonisierten durchbrechen und neue Entwürfe von Gemeinschaft entstehen lassen. Die zu analysierenden Texte werden im Rahmen einer diachronen Entwicklung sowie in ihrem jeweiligen diskursiven Kontext betrachtet: Während Heinrich Heine etwa einen aufklärerischen Geschichtsbegriff an der Umkehrung von Alter und Neuer Welt auf die Probe stellt, B. Traven den westlichen Staatenlosen mit dem Bild des Indigenen überschreibt und Alfred Döblin die Idee eines utopischen Kolonialismus am Synkretismus des "indianischen Kanaan" durchspielt, definiert Stefan Zweig die hybride Gesellschaft Brasiliens als "Land der Zukunft" und beschreibt Vilém Flusser den Schritt vom Exil zur Migration – ebenfalls in Brasilien – als selbst-bewusstes Verorten in der Heimatlosigkeit. Durch die Analyse werden transnationale Ansätze der Germanistik weiter entwickelt und die Produktivität des bisher weitgehend auf die Nation fokussierten Begriffs der imaginären Gemeinschaften im Spannungsfeld von Utopie und Kolonialismus erprobt.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen