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Der konsumierende Staatsbürger als semantische Konstruktion neuer Partizipationsformen in der Bundesrepublik Deutschland

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2018 bis 2024
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 405222626
 
Das ideengeschichtlich angelegte Projekt untersucht das Entstehen und die Verbreitung neuer Konzepte von Partizipation seit den 1970er Jahren in der Bundesrepublik. Ihre Protagonisten verbreiteten einerseits die Idee, dass politische Partizipation durch die Kaufentscheidung für bestimmte Konsumgüter praktiziert werden könne und solle. Diese Güter sollten unter Einhaltung sozial-ökonomischer („fair“) sowie ökologisch nachhaltiger Mindeststandards produziert und vertrieben werden und gesundheitlich unbedenklich („bio“) sein. Andererseits erfolgten Appelle, sich gegenüber sozialstaatlichen Dienstleistungen ausdrücklich als deren Konsument zu verhalten. Diese beiden Dimensionen politisch-moralisch aufgeladenen Konsums mündeten in Begriffe wie den des „politischen Konsumenten“. Demgemäß sollte die Sozialfigur des „Konsumenten-Bürgers“ durch Auswahlentscheidungen Problemlagen beeinflussen, die sich am Rande oder jenseits der Steuerungsmöglichkeiten demokratisch verfasster Gesellschaften befinden. Als Ergebnis würden die Partizipationschancen der Staatsbürger erweitert; umgekehrt wurde auch die Verantwortung der Konsumenten hervorgehoben. Diese neuen Partizipationsformen waren einerseits durch rechtliche Gleichheit marktförmig und andererseits protestförmig organisiert. Mit den neuen Teilhabeansprüchen entstanden aber auch neue Wechselwirkungen mit mehreren Ungleichheitsdimensionen: Erstens hinsichtlich der sozioökonomischen Ungleichheit, weil durch Konsumakte vermittelte Partizipationschancen von materiellen sowie von Bildungs- und Informationsvoraussetzungen abhängen. Zweitens erzeugten Boykottaktionen sowie die moralische Überhöhung des neuen Konsumbürgertums eine Ungleichheit in Form der Nichtanerkennung aller derjenigen, die den Forderungen nicht nachkamen. Zudem entstanden neue politisch-gesellschaftliche Konfliktlinien durch die diskursive Konfiguration einer neuen Sozialgruppe, nämlich des „Neuen Konsumbildungsbürgertums“. Als Ausgangspunkt der Untersuchung wird die Lateinamerika-Solidaritätsbewegung der 1970er Jahre gewählt. Deren Kontakte mit kirchlichen Initiativen zur Verbreitung eines moralischen und politischen Konsumbewusstseins, die zur Gründung sog. (3.- oder Einer-)Welt-Läden führten, stellen ein weiteres Untersuchungsfeld des Projekts dar. Zeitlich parallel und ideologisch sowie teilweise auch personell verknüpft war die Entstehung der Bio-, Öko- und Alternativbewegungen, in denen die Moralisierung und Politisierung des Konsums ein Kernelement darstellte. In den 1990er Jahren differenzierte sich diese Bewegung durch ein offensives labelling weiter aus.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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