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Zu Land und auf der See. Medizinische Geografie im Russischen Reich (1770-1870)

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Wissenschaftsgeschichte
Förderung Förderung von 2019 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 405969656
 
Erstellungsjahr 2023

Zusammenfassung der Projektergebnisse

An der Schnittstelle von Imperialgeschichte und Medizingeschichte fragte das Projekt nach der Funktion von Ärzten und medizinischem Wissen für die Expansion und Konsolidierung des Zarenreichs zwischen 1770 und 1780. Der Zeitraum war nicht nur die letzte große Expansionsphase der zarischen Autokratie (mit Eroberungen auf der Krim und in der Steppenregion, von Alaska und der Amur-Region, im Kaukasus und Zentralasien), sondern auch eine Umbruchzeit der medizinischen Forschung und Praxis sowie eine Periode der Professionalisierung von Ärzten. Sie emanzipierten sich zwar nicht von der Kontrolle der Regierung – schon weil Staat und Militär der Hauptarbeitgeber blieben. Doch Ärzte spielten nicht nur eine Vorreiterrolle in der Modernisierung des zarischen Staatsdiensts, insbesondere in der Aufwertung wissenschaftlichen, systematisch generierten Wissens und formaler Ausbildungswege. Ärzte lieferten auch systematisches Wissen über das russländische Imperium, insbesondere über die neu eroberten Territorien. Wegen der Unterbesetzung und Unterbezahlung des medizinischen Apparats blieben viele dieser Projekte unverwirklicht. Mit seiner Analyse medizinischer Expertise knüpfte das Projekt an die für die europäischen Übersee-Kolonien schon länger thematisierte Rolle von Medizinern als Stützen imperialer Herrschaft an. Ärzte kümmerten sich um den Schutz der Eroberer vor den so unbekannten wie gefährlichen Krankheiten der Unterworfenen und entwarfen mit Hygieneregeln mächtige Instrumente der Disziplinierung. Sie trugen so zur Konstruktion des kolonialen „Anderen“ bei. Wenn auch diese Unterscheidung im Landimperium der Zaren unschärfer blieb. Den konzeptionellen Zugang zu dem Untersuchungszeitraum öffnete die zeitgenössische Debatte über medizinische Geografie – eine keineswegs nur von Ärzten geführte Diskussion über den Einfluss auf der Umwelt auf Gesundheit und Krankheit und auch darüber, wie durch die Manipulation der Umwelt oder vorausschauendes Handeln Gesundheit und Krankheit kontrolliert werden könnten. Medizinische Geografie war ein auch unter russischen Ärzten populäres Konzept, das sich von der antiken „Säftelehre“ abgrenzte und auch mit dem Durchbruch des bakteriologischen Paradigmas im späten 19. Jahrhundert keineswegs verschwand. Das Projekt war eine binationale Kooperation, doch in der Praxis zerfiel es nicht in zwei Teile. Vielmehr bewährte sich die Verflechtung der insgesamt sechs Teilprojekte, die komplementäre Themen (arktisches Klima vs. heißes Steppenklima) behandelten oder den Transfer imperialer Expertise aus verschiedenen Perspektiven (ideen- und sozialgeschichtlich) untersuchten. Diese Verzahnung der Projekte zeigt auch das (bislang) wichtigste Ergebnis: eine Kollektivmonografie über medizinische Geografie im Zarenreich.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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