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Vom schönen Schein zum Funktionsersatz. Prothetik im Ersten Weltkrieg

Fachliche Zuordnung Wissenschaftsgeschichte
Förderung Förderung von 2018 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 405977393
 
Prothetische Hilfsmittel dienten schon immer zur Überwindung körperlicher Beeinträchtigungen. In ihrer Geschichte zählte aber lange eher der schöne Schein als ihre Funktionalität. Dass es schließlich zum Paradigmenwechsel kam, hat, so die These des Projekts, mit den besonderen gesellschaftlichen Bedingungen des Ersten Weltkriegs zu tun, die in allen beteiligten Staaten zu einem Aufschwung der Prothesenproduktion führten. In Deutschland, wo die berufliche Rehabilitation kriegsamputierter Männer zur nationalen Aufgabe erklärt wurde, kam es zur Erfindung des sogenannten Arbeitsarms, der als neuer Prothesentyp fortan die Diskussion zur Kriegsversehrung und dem Mensch-Technik-Verhältnis mitbestimmt hat. Für das moderne Körperbild des Menschen bedeutete er eine Wende, die unser Verständnis von Behinderung und Normalität bis heute prägt.Um die komplexen Entwicklungsbedingungen und voraussetzungsvolle Nutzung der Arbeitsarme zu rekonstruieren, wird vorgeschlagen, eine integrative Perspektive auf die Geschichte der modernen Prothetik einzunehmen, in der wissenschafts-, medizin- und technikhistorische Aspekte der Artefakte genauso wie gesellschafts- und kulturgeschichtliche Überlegungen zum kriegsgeschädigten Körper berücksichtigt werden. Die Analyse erfolgt auf drei Ebenen: erstens in Bezug auf das praktische Wissen, das bei der Konstruktion, Herstellung und Nutzung der Prothesen erworben, weiter entwickelt und angewendet wurde, zweitens hinsichtlich der heterogenen Akteurskonstellation aus Orthopäden, Ingenieuren, Mechanikern, Psychotechnikern, Berufsberatern und Verantwortlichen im Sanitäts- und Wohlfahrtswesen, die kriegsbedingt in Speziallazaretten, Übungsschulen, Werkstätten und Prüfungskommissionen in Konkurrenz- und Kooperationsbeziehungen zueinander standen und drittens soll die Gruppe der Betroffenen selbst in den Blick genommen werden, die sich auf diese Weise unter militärischem Zwang technisches Wissen angeeignet haben und gesellschaftlichen Erwartungen an ihre soziale Rolle ausgesetzt waren.Am Ende des Projekts sollen aus der Fülle der rund 60 zwischen 1915 und 1918 entwickelten Prothesentypen jene Beispiele ausgewählt und in Objektbiographien dargestellt werden, mit denen sich die kriegsbedingte Innovationskultur der Prothetik fassen lässt. Indem der Schwerpunkt auf der eigenständigen Rolle der Prothetik und den mit ihr verbundenen, am Versehrtenkörper ansetzenden Diskursen und Praktiken gelegt wird, sollen Verbindungen zwischen Wissenschaft, Medizin, Technik und Gesellschaft im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts sichtbar werden. Mit dem artefaktbezogenen und praxeologischen Ansatz werden die analytischen Ebenen systematisch verbunden und neuere Perspektiven für die Geschichte moderner Kriegs- und Nachkriegsgesellschaften fruchtbar gemacht.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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