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Ökonomie und Moral. Normativität und Wirtschaftshandeln im langen 20. Jahrhundert: Wissen, Dinge, Praktiken
Antragsteller
Dr. Benjamin Möckel
Fachliche Zuordnung
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung
Förderung von 2018 bis 2022
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 406936980
Ökonomie und Moral gelten häufig als getrennte Sphären oder Antipoden. Das Netzwerk stellt diesen Gegensatz in Frage. Begreift man ökonomisches Handeln im Kern als soziales Handeln, das in enger Wechselwirkung mit historisch wandelbaren und konkurrierenden normativen Ordnungen steht, eröffnen sich vielfältige neue Perspektiven. Ausgangspunkt ist ein nicht-normativer, historisierender Moralbegriff, der für die Analyse von ökonomischen Systemen, Handlungszusammenhängen und Diskursen fruchtbar gemacht werden kann. Das Spektrum möglicher Forschungsgegenstände reicht von kapitalismuskritischen Debatten und alternativen Konsumformen bis zu Legitimationen des freien Marktes und ökonomischen Alltagsroutinen, die als embodied practices die ökonomisch-soziale Praxis strukturierten. Das Adjektiv "moralisch" ist also nicht gleichbedeutend mit "gut", es verweist vielmehr auf ein kontextabhängiges Arrangement normativer Ordnungen, die das Feld der Ökonomie als sozialen Handlungsraum konstituieren. Das Netzwerk stellt damit erstens einen Beitrag zur Integration von Wirtschafts- und Kulturgeschichte dar, wie sie seit geraumer Zeit konzeptionell ausformuliert, aber bislang selten empirisch eingelöst worden ist. Hierzu greift es zweitens auf die seit zwei Jahrzehnten intensiv verfolgten Forschungen zur Wirtschafts- und Unternehmensethik zurück, zu denen es einen innovativen und eigenständigen Beitrag leisten möchte. Drittens wird das Netzwerk am Beispiel der Ökonomie das Potenzial einer Geschichte der Moral in der Moderne ausloten. Ziel ist die Erstellung einer Quellenanthologie, die unter den drei Kategorien "Wissen", "Dinge" und "Praktiken" die Bedeutung ökonomischer Normvorstellungen untersucht und dabei eine transnational erweiterte, europäische Perspektive auf das lange 20. Jahrhundert wählt. Entstehen wird eine quellengesättigte Analyse des Form- und Funktionswandels von Moral, der sich bis in die Gegenwart weiterverfolgen lässt. Denn moralische Argumente, so eine Arbeitshypothese, werden immer stärker global gedacht. Sie transzendieren den sozialen Nahraum, den regionalen oder nationalen Rahmen, oder adressieren gar zukünftige Generationen. Daraus können allerdings auch neue Moralkonkurrenzen erwachsen, etwa wenn gegenwärtig Probleme von Wohlfahrtsstaat und sozialer Ungleichheit erneut auf der Ebene des Nationalstaats und mit ausdrücklich antiglobalistischer Stoßrichtung verhandelt werden. Das gilt es in langer Perspektive zu erforschen: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Netzwerks loten deshalb die räumliche, soziale und zeitliche Entgrenzung des Adressatenkreises ökonomischer Moral in der Moderne aus, vom letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart.
DFG-Verfahren
Wissenschaftliche Netzwerke