Psychophysiologische Adaptivität und die Entstehung von paranoidem Wahn.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Projekt untersuchten wir die Anpassungsfähigkeit von Personen mit paranoidem Wahn an zwei aufeinanderfolgende Stressoren. Die zentralen Fragen waren, ob eine mangelnde Erholungsfähigkeit nach einem ersten Stressor besteht und ob diese eine erhöhte Stresssensitivität bei einem zweiten Stressor zur Folge hat. So könnten sich Stresslevel im Sinne eines Teufelskreises aufschaukeln und psychotische Symptome wie der paranoide Wahn entstehen. Als mögliche Mechanismen für die mangelnde Erholung und Symptomentstehung wurden Emotionsregulationsfähigkeit und resting-state Herzratenvariabilität (HRV) postuliert. Hierfür verglichen wir n= 50 Personen mit einer psychotischen Störung und paranoidem Wahn (aktuell oder in der Vorgeschichte, max. ein Neuroleptikum) mit n= 50 Kontrollpersonen ohne aktuelle psychische Störung. Wir führten einen fünfminütigen Stressor (Bilateraler Fuß-Cold-Pressor Task + Paced Serial Addition Task) mit einer 60minütigen Erholungsphase durch. Dann wurde der Stressor wiederholt und eine zweite, 10minütige, Erholungsphase folgte. Subjektive (subjektiver Stress, negativer Affekt) und physiologische (Herzrate, HRV) Stressparameter wurden kontinuierlich gemessen, die state-Emotionsregulation während der Stressoren. Nach dem ersten Stressor wies die Gruppe mit psychotischen Störungen im Vergleich zur Kontrollgruppe keine verzögerte Erholung im negativen Affekt oder der autonomen Aktivität auf. Erholungsdefizite bestanden jedoch im subjektiven Stress, sowohl in der initialen Erholung (erste 5- Minuten) als auch in der Gesamterholung (60 Minuten). In der Erholungsphase nach dem zweiten Stressor, nicht aber in den anderen Phasen, hatte die Gruppe mit psychotischen Störungen eine signifikant verminderte HRV im Vergleich zur Kontrollgruppe. Im Sinne des postulierten Aufschaukelns und der Stresssensitivität prädizierte eine verminderte Erholung nach dem ersten Stressor höhere Stresslevel während des zweiten Stressors, wenn die jeweilige Response-Range (d.h. Werte zu Baseline und dem ersten Stressor) kontrolliert wurde. In der Analyse der möglichen Mechanismen konnte kein Zusammenhang der HRV mit paranoiden Symptomen in der Erholung nach den Stressoren gefunden werden. Eine hohe resting-state HRV sagte eine stärkere Erholung nach dem Stressor für die Herzrate jedoch nicht der subjektiven Parameter vorher. Für die Emotionsregulation zeigte sich ein Unterschied in trait- und state-Maßen: Mehr funktionale state- Emotionsregulation während des Stressors prädizierte eine geringere Erholungsrate des negativen Affekts nach dem ersten Stressor. Dieser Effekt blieb jedoch unter Kontrolle der Response-Range nicht bestehen. Zudem war mehr funktionale trait-Emotionsregulation mit einer stärkeren Erholung der HRV und der initialen Erholung des subjektiven Stresses assoziiert. Die Erholungsfähigkeit bei Menschen mit psychotischen Störungen scheint somit nicht global eingeschränkt. Vielmehr war vor allem die subjektive Erholungsfähigkeit im Vergleich zur Kontrollgruppe reduziert. Die subjektive und autonome Erholungsfähigkeit war zudem mit der Stresssensitivität auf einen zweiten Stressor verbunden. Mögliche Aufschaukelungsprozesse sollten weiter untersucht werden, um effektive Interventionen zur Stärkung von Adaptivität – zum Beispiel durch die Verbesserung der trait-Emotionsregulation oder der resting-state HRV – herauszuarbeiten.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Entspann‘ dich mal! - Subjektive und autonome Erholung bei psychotischen Störungen im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden. 38. Symposium der Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie der DGPs, Mannheim, Germany
Bahlinger, K., Lincoln, T. M. & Clamor, A.
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Autonomic and Subjective Recovery after an Experimental Stressor in Psychosis and Healthy Controls. Annual Congress of the Schizophrenia International Research Society, Florence, Italy
Bahlinger, K., Lincoln, T. M. & Clamor, A.
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Ein Teufelskreis aus Stress – Sagt eine geringe Erholung bei Personen mit psychotischen Störungen eine maladaptive Reaktion auf künftige Stressoren vorher?. Deutscher Psychotherapiekongress, Berlin, Germany
Bahlinger, K., Lincoln, T. M. & Clamor, A.
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Recovery After Stress—Autonomic and Subjective Arousal in Individuals With Psychosis Compared to Healthy Controls. Schizophrenia Bulletin, 48(6), 1373-1383.
Bahlinger, Katrin; Lincoln, Tania M & Clamor, Annika
