Neuronale Grundlagen des Farbensehens: (I) Interaktionen zwischen Fotorezeptoren und Entstehung erster Gegenfarbenmechanismen.
Molekulare Biologie und Physiologie von Nerven- und Gliazellen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die neuronalen Schaltkreise des Farbensehens mechanistisch zu verstehen ist ein klassisches Ziel der Neurowissenschaften. Wir konnten kürzlich zeigen, dass bereits in den Endigungen der inneren Fotorezeptoren R7/R8 von Drosophila erste Gegenfarbenmechanismen erfolgen. R7/R8 aus pale bzw. yellow Ommatidien übertragen [UVkurz vs. blau] und [UVlang vs. grün] farbopponente Signale in das Farbsehsystem in der Medulla. Ursächlich sind zwei synergistisch wirkende Schaltkreise: R7/R8 eines Ommatidiums hemmen sich gegenseitig, parallel erfolgt negatives Feedback aus der Medulla. Unsere Arbeit zeigt, dass R7/R8 ihr negatives Feedback von Medulla Dm9 Zellen erhalten, die mit glutamatergen Vesikeln angefüllt sind. Dm9 detektiert Histamin, das von R7/R8 in Reaktion auf Licht freigesetzt wird, über Ort Rezeptoren. Ort Expression in Dm9 ist für Farbopponenz in R8 erforderlich, nicht so in R7. Ort-vermittelte Hyperpolarisation von Dm9 ‚maskiert‘ erregenden Input von R7. Optogenetische Hyperpolarisation von Dm9, die die Reaktion von Dm9 auf Licht nachahmt, führt zur Inhibition von allen vier Typen von präsynaptischen R7/R8, verhindert ihre farbopponenten Antworten und reduziert die allgemeine Lichtempfindlichkeit von R7/R8. Daraus ergibt sich ein einfaches Model für negatives Feedback an der ersten visuellen Synapse: Licht bzw. R7/R8 hemmen tonisch aktive Dm9 Zellen, die daraufhin weniger ‘erregendes’ Glutamat an R7/R8 ausschütten. Dies wirkt der Licht-induzierten Erregung von R7/R8 entgegen. Dm9 Zellen haben damit eine unerwartete Doppelfunktion in Farbopponenz und Adaptation, was eine auffallende Parallele zu den Horizontalzellen der Vertebraten-Retina darstellt. In Dm8 Zellen, ebenfalls visuelle Interneuronen 2-ter Ordnung, findet dagegen der nächste Schritt der farbopponenten Verrechnung statt. Entgegen früheren Berichten integriert Dm8 nicht nur die hemmenden Signale von R7; vielmehr besitzt Dm8 komplexe [UV vs. VIS] farbopponente Antworteigenschaften. Dm8 wird von UV-empfindlichen R7 über direkte histaminerge Synapsen gehemmt. R8 und R1-R6, die gemeinsam das gesamte visuelle Spektrum der Fliege (VIS) abdecken, erregen Dm8 über indirekte Signalwege. R1-R6 erregen Dm8 über Lamina Monoplarzellen L1 und das Medulla-Interneuron Mi1, das eine zentrale Rolle in der Detektion von ‚ON-motion‘ einnimmt. R8 erregend Dm8 über noch unbekannte Mechanismen unter Beteiligung von Acetylcholin. Teile dieser Ergebnisse haben wir in einer vergleichenden Übersichtsarbeit über die Mechanismen des Farbensehens in Insekten dargestellt (ausgezeichnet von J. Comp. Physiol. A mit dem ‚Readers’ Choice Award 2022‘). Die erzielten Erkenntnisse, umfassende hier unerwähnte Ergebnisse und eine in diesem Projekt entwickelte neue Methode für die Präsentation ortsaufgelöster, mehrfarbiger Stimuli eröffnet neue Perspektiven und eine Vielzahl an neuen Forschungsprojekten am Farbsehsystem von Drosophila.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Color vision in insects: insights from Drosophila. Journal of Comparative Physiology A, 206(2), 183-198.
Schnaitmann, Christopher; Pagni, Manuel & Reiff, Dierk F.
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Interaction of “chromatic” and “achromatic” circuits in Drosophila color opponent processing. Current Biology, 31(8), 1687-1698.e4.
Pagni, Manuel; Haikala, Väinö; Oberhauser, Vitus; Meyer, Patrik B.; Reiff, Dierk F. & Schnaitmann, Christopher
