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Verschuldung in der Peripherie: Geld, Risiko und Politik in Osteuropa

Antragsteller Marek Mikus, Ph.D.
Fachliche Zuordnung Ethnologie und Europäische Ethnologie
Förderung Förderung seit 2018
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 409293970
 
Auf Basis einer ethnographischen Studie zur Haushaltsverschuldung in der osteuropäischen Peripherie wird die Forschungsgruppe empirische Daten und neue theoretische Perspektiven zu den Themen Kredit/Verschuldung, Finanzialisierung, Geld und Risiko liefern. Seit den 1980er Jahren werden Wirtschaften und Gesellschaften weltweit durch die Finanzialisierung – die wachsende Dominanz des Finanzwesens – transformiert. Eine zentrale Erscheinungsform ist die zunehmende Verschuldung von Privathaushalten, die verstärkt vom Finanzsektor abhängig werden. Die Haushaltsverschuldung ist der häufigste Blickwinkel, aus dem Ethnologen den umfangreichen, scheinbar abstrakten Prozess der Finanzialisierung beleuchtet haben. Untersucht wurden zudem Bottom-up-Kontestationen der Haushaltsverschuldung im Westen und deren linke, revolutionäre Politik. Es gibt jedoch drei wesentliche Forschungslücken: 1) die Theoretisierung der Rolle des Geldes in der Haushaltsverschuldung; 2) die systematische Untersuchung der Beziehung zwischen Haushaltsverschuldung und Risiko; sowie 3) die Behandlung der Frage, warum die Politisierung von Verschuldung nach der globalen Finanzkrise das neoliberale System nicht transformierte.Osteuropa fand trotz eines rasanten, spezifischen Anstiegs der Haushaltsverschuldung in der Wirtschaftsethnologie bisher wenig Beachtung. Kennzeichnend sind die Zentrum-Peripherie-Beziehungen sowie eine hohe Risikoübernahme seitens der Haushalte, die nach der Krise gravierende Folgen für die Schuldner hatte. Ökonomen entwickelten dafür das Konzept der „peripheren Finanzialisierung“. Die Forschungsgruppe wird durch ethnographische Studien der mit der Haushaltsverschuldung verbundenen sozialen Beziehungen und Praktiken im Kontext der peripheren Finanzialisierung in Kroatien, Ungarn, Polen und der Slowakei wichtige Forschungslücken schließen. 1) Die für die osteuropäische Haushaltsverschuldung typischen Finanzstrategien „Currency Carry Trade“ und Fremdwährungskredite werden untersucht. Um gegenwärtige anthropologische Kredittheorien in Frage zu stellen, wird aufgezeigt, wie Geld als Handelsware in ungleichen sozialen und geographischen Beziehungen eingebettet ist. 2) Es wird gefragt, wie diese und ähnliche Praktiken einen verstärkten Risikotransfer auf die osteuropäischen Haushalte förderten, und wie dies durch die Finanzkrise sichtbar wurde und Risikokonzepte und -praktiken unterschiedlicher Akteure änderte. 3) Die reformistische, oft nationalistisch-populistische Politik der Haushaltsverschuldung in Osteuropa wird betrachtet. Durch einen historisch-anthropologischen Ansatz wird geklärt, wie und warum diese Formen der Kontestation als Reaktion auf die periphere Finanzialisierung entstehen. Über Bezug auf staatliche Bemühungen der Schuldenregelung in Form von finanzieller Bildung und marktorientierten Lösungen wird zudem ein Beitrag zur anthropologischen Forschung zu Staat, Zivilgesellschaft, sozialen Bewegungen und nationalistischem Populismus geleistet.
DFG-Verfahren Emmy Noether-Nachwuchsgruppen
Internationaler Bezug Großbritannien, Kroatien, Schweden, Slowakei
 
 

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