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Wie Alter den Unterschied macht: Klassifikationspraktiken, Zugehörigkeit und politische Subjektivität bei jungen Geflüchteten in Deutschland

Fachliche Zuordnung Ethnologie und Europäische Ethnologie
Förderung Förderung von 2018 bis 2024
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 409314830
 
Was konstituiert und kennzeichnet Minderjährigkeit und Volljährigkeit bei Geflüchteten - und wie macht das Alter bei ihnen einen (aufenthalts-)rechtlichen, politischen und affektiven Unterschied? Diesen Fragen gehen wir in unserem Projekt nach. In der ersten Forschungsphase konzentrierten wir uns auf Praktiken der Altersschätzung und auf ihre Auswirkungen für „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“. In der Analyse von medizinischen und jugendamtlichen Altersschätzungspraktiken zeigten wir, dass Alter nicht im Körper oder Wesen der Geflüchteten liegt, sondern vielmehr in einem Zusammenspiel von wissenschaftlichen und jugendamtlichen Standards, Studien, Samples und Selektionen daraus sowie in Vorstellungen von Jugendlichkeit und Erwachsensein auf unterschiedliche Weisen hervorgebracht wird. Altersschätzungen verstehen wir als eines der „differenziell inkludierenden“ (Mezzadra und Nielson 2012) Scharniere für Bewegungsmöglichkeiten innerhalb Deutschlands und der EU, welche die sozioökonomischen Lebenschancen von Geflüchteten und ihr emotionales Wohlbefinden beeinflussen. Die Lebensentwürfe für „unbegleitete Minderjährige“ entfalten sich dabei im Spannungsfeld der Hilfebedarfs-, Verselbstständigungs- und Integrationslogiken der Jugendhilfe und aufenthaltsrechtlicher Unsicherheit.In der hier beantragten zweiten Forschungsphase wollen wir die Konsequenzen von Altersfestsetzungen für Personen untersuchen, welche als volljährig eingeschätzt werden. Erste Fälle zeigten, dass diese Klassifikation zu EU-weiter Mobilität und Abschiebungen, zu Obdachlosigkeit und Unterbringung in Erwachsenenunterkünften, Schulabbruch, illegalisierter Landarbeit und zu Protesten führen kann. Wir wollen mehr solcher Fälle untersuchen und so den Zusammenhang zwischen altersspezifischer politischer Subjektivität → Raum/Mobilität → Lebenschancen umfassender analysieren. Zudem wollen wir unseren Fokus auf den Widerstand geflüchteter Aktivist*innen richten, die auf verschiedene Weisen gegen ihre Einschätzung als volljährig protestiert haben. Aus epistemologischen und forschungspolitischen Gründen planen wir diese Forschungsphase als kollaborative Forschung mit geflüchteten Aktivist*innen, die in verschiedenen Publikationsformaten münden soll.Mit beiden Forschungsphasen tragen wir zu einem umfassenden Verständnis der Rolle von Alter und den Folgen der Altersfestsetzung im EU-Migrationsregime bei. Mit unserem praxistheoretischen Hintergrund bringen wir ein relationales Konzept von Alter im Migrationssystem in die Kindheits- und Jugendstudien und die Migrationsforschung ein. Außerdem erweitern wir die Analysen der Klassifizierung von „unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ und migrantischer Proteste durch den theoretischen Einbezug von historischen und gegenwärtigen globalen Verflechtungen, die auch von protestierenden Geflüchteten thematisiert werden. Dies soll insgesamt die Analyse der Bedeutung von Altersschätzungen im Kontext globaler Ungleichheiten ermöglichen.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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