Sterben wie ein Hund? Konvergenzen und Divergenzen im human- und veterinärmedizinethischen Diskurs zum Lebensende von Menschen bzw. Heimtieren und Folgen für die Verhältnisbestimmung von Medizin- und Tierethik
Tiermedizin
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt analysierte die Diskurse in Human- und Veterinärmedizin in Bezug auf die moralische Bewertung von unterschiedlichen Vorgehensweisen am Lebensende der menschlichen bzw. tierlichen Patienten. Zu den untersuchten Vorgehensweisen zählen die (lebenserhaltende oder palliative) Behandlung und alle Formen von Sterbehilfe (Euthanasie und Sedierung beim Tier, Tötung auf Verlangen, palliative Sedierung, Suizidhilfe und Therapiebegrenzung beim Menschen). Die kritische Analyse der Literatur und eine eigene empirische Datenerheben (Fokusgruppen, online-Gedankenexperiment) ergaben Konvergenzen im Bereich der Behandlungsmethoden und Sterbeoptionen bei Mensch und Tier, die aber weder in der wissenschaftlichen Literatur noch in der professionellen Praxis ausreichend (ethisch) reflektiert werden: Behandlungsmethoden werden vom Menschen auf Tiere übertragen, die Diskussion um das gute Sterben beim Tier integriert Optionen wie Tierhospiz und Palliativversorgung; in der Humanmedizin wird die Diskussion über die Option der Tötung aus dem Erfahrungsbereich der Veterinärmedizin übernommen. Hier zeigen sich Konvergenzen und Divergenzen deutlich facettenreicher als zunächst angenommen: Wenn sich auch bestimmte Verfahren und Institutionen einander annähern, bleiben signifikante Unterscheide (z.B. die unterschiedlichen Aufgaben von Hospizen). Gemäß Antrag „sollte herausgearbeitet werden können, ob und wie ggf. einzelne Kategorien divergieren.“ Das Projekt hat das an vielen Beispielen dargelegt, etwa am Konzept von „Lebensqualität“ oder an den Vorstellungen von einem „guten Tod“ von Mensch und Tier. Bei näherer Betrachtung sind auch die (aus der Literatur oder den eigenen empirischen Untersuchungen gewonnenen) Gründe für diese Konvergenzen nicht immer konsistent: Unterschiede hinsichtlich der Spezies, der jeweiligen Autonomie und des Bewusstseinsgrades sind im Diskurs nicht systematisch wiederzufinden. Im Projekt wurden daher vor allem „marginal cases“ für einen Vergleich herangezogen: Menschen mit eingeschränkter Möglichkeit, ihre autonomen Wünsche auszudrücken (Säuglinge, Kleinkinder, geistig beeinträchtigte Menschen oder Patient*innen im Koma). Vergleiche und Annährungen lassen sich hier vorsichtig nachzeichnen. Im Umkehrschluss kann sich gemäß Antrag „noch einmal zeigen, ob und worin Propria der human- und tiermedizinethischen Debatte und Zugänge bestehen und wie Kategorien wie Würde, Interesse, Lebensqualität etc. jeweils definiert und ausgelegt werden“. Auf dieser letzten Ebene bleiben die Fragestellungen für im Vollsinne autonome menschliche Personen (denen von manchen eine besondere Würde zugesprochen wird) doch anders als beim Tier. Die Metafrage des Projekts noch einer vereinheitlichten Bioethik beantwortet sich damit im Wesentlichen ex negativo: Hier stehen die Diskurse für sich.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Definitions of Euthanasia. Vortrag bei dem Workshop „Medizinethik im Human- und Veterinärstudium“ der Tierärztlichen Hochschule Hannover und der Medizinischen Hochschule Hannover (2019)
Persson, K.
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Sterben wie ein Hund? Konvergenzen und Divergenzen im human- und veterinärmedizinischen Diskurs. Forschungskolloquium am Institut für Ethik, Geschichte und Philosophie der Medizin, MHH, 27.05.2019
Selter, F.
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The Good Death Ideal in Human and Veterinary Medicine: Two Separate Discourses? Vortrag bei dem Workshop „Medizinethik im Human- und Veterinärstudium“ der Tierärztlichen Hochschule Hannover und der Medizinischen Hochschule Hannover (2019)
Selter, F.
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Beurteilung der Lebensqualität am Lebensende in der Human- und Veterinärmedizin: Posterpräsentation bei der AEM Jahrestagung (2020)
Persson K., Risse J., Kunzmann P., Selter F. & Neitzke G.
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Philosophy of a “Good Death” in Small Animals and Consequences for Euthanasia in Animal Law and Veterinary Practice. Animals, 10(1), 124.
Persson, Kirsten; Selter, Felicitas; Neitzke, Gerald & Kunzmann, Peter
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Dying like a dog: the convergence of concepts of a good death in human and veterinary medicine. Medicine, Health Care and Philosophy, 25(1), 73-86.
Selter, Felicitas; Persson, Kirsten; Risse, Johanna; Kunzmann, Peter & Neitzke, Gerald
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How can ethics help? Support tools for decision-making on life and death in veterinary medicine. EurSafe Conference Fribourg/ online (23.6.2021)
Kunzmann, P.
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Patient Autonomy in Medical and Veterinary Ethics: The Problematic Extension of an Ambiguous Concept. Vortrag auf dem 25. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Philosophie, Universität Erlangen-Nürnberg (2021)
Selter, F.
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Vernünftiger Grund für das Töten von Versuchstieren, Haustieren und Nutztieren aus ethischer Sicht. DVG-Kongress (19.11.2021)
Kunzmann, P.
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Das Sterben von Tier und Mensch im Film. Einführung in den Themenabend im Künstlerhaus Hannover (08.06.2022)
Risse, J.
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End-of-life Options in Humans and Animals: a Comparison. ESPMH-Conference, Warsaw/Poland. 26.08.2022
Neitzke, G.
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Killing Kira, Letting Tom Go?—An Empirical Study on Intuitions Regarding End-of-Life Decisions in Companion Animals and Humans. Animals, 12(19), 2494.
Persson, Kirsten; Selter, Felicitas; Kunzmann, Peter & Neitzke, Gerald
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Moral distress and euthanasia: what, if anything, can doctors learn from veterinarians?. British Journal of General Practice, 72(719), 280-281.
Selter, Felicitas; Persson, Kirsten & Neitzke, Gerald
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Respecting Fido’s autonomy? What we (don’t) owe to animals in endof-life decisions. Eingeladener Vortrag beim Workshop “What we owe to animals” der Universitäten Fribourg und Basel, CH (2022)
Selter, F.
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End-of-life decisions: A focus group study with German health professionals from human and veterinary medicine. Frontiers in Veterinary Science, 10.
Selter, Felicitas; Persson, Kirsten; Kunzmann, Peter & Neitzke, Gerald
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Experimental veterinary and animal ethics. Beitrag im EurSafe Newsletter 4/2021
Persson, K.
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Sterben wie ein Hund. Eingeladener Vortrag beim Animalicum 2023, Bregenz (26.03.2023)
Kunzmann, P.
