Logistikorientierte Reihenfolgestrategien für mehrstufige Produktionen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Rahmen der Produktionsplanungs- und -steuerungsaufgabe Reihenfolgebildung müssen sich produzierende Unternehmen im Zielkonflikt zwischen der Kostengröße Produktivität und der Leistungsgröße Termintreue strategisch positionieren. So steigern rüstzeitoptimierende Reihenfolgeregeln die Produktivität eines Arbeitssystems, erhöhen jedoch auch die Terminabweichungsstreuung im Abgang. Reihenfolgeregeln wie die First-in-First-Out-Logik oder eine Priorisierung nach Termin haben keinen systematischen Einfluss auf die Produktivität eines Arbeitssystems, jedoch kann die Terminabweichungsstreuung durch eine Priorisierung nach Termin reduziert werden, wodurch die Termintreue des Arbeitssystems steigt. Betrachtet man einen kompletten Produktionsbereich, so muss bei der Gestaltung der internen Lieferkette jedem Arbeitssystem eine Reihenfolgeregel zugeordnet werden. Im Idealfall sollte die gewählte Reihenfolgekonfiguration dabei die unternehmensinternen Zielvorgaben an Kosten- und Leistungsziele strategisch unterstützen. Eine Grundvorrausetzung für eine solche Positionierung ist die Kenntnis, das Wissen um Einflussfaktoren und die quantitative Kalkulierbarkeit der Auswirkung unterschiedlicher Reihenfolgeregeln in Abhängigkeit von Regelgrößen auf die produktionslogistischen Zielgrößen. Zudem bedarf es einer Verknüpfungslogik, die es ermöglicht die Arbeitssysteme eines Produktionsbereichs in ein Wirkungsnetz zu integrieren, sodass eine Berechnung von Produktivitätssteigerungen und Terminabweichungsstreuungen vom Systemeingang bis hin zum Systemausgang eines Produktionsbereichs ermöglicht wird. Die am Institut für Fabrikanlagen und Logistik (IFA) entwickelten logistischen Modelle, welche im Rahmen dieses abgeschlossenen Erkenntnistransferprojektes weiterentwickelt und in der Praxis erprobt wurden, beschreiben die Auswirkung der Reihenfolgeregeln First-in-First-Out, frühester Plan-Abgang und die der rüstoptimalen Reihenfolgeregel auf das reihenfolgebedingte Terminabweichungsverhalten und die Produktivität eines Arbeitssystems und ermöglichen somit eine quantitative Berechnung sowie die Verkettung einzelner Arbeitssysteme eines Produktionsbereichs zu einem Wirkungsnetz. Hierzu wurden im Rahmen des Forschungsvorhabens beim Anwendungspartner Koenig & Bauer Industrial AG & Co. KG umfangreiche qualitative und quantitative Analysen (u.a. mittels des OpenSource Data-Mining- Tool KNIME) der PPS-Konfiguration sowie der Ist-Situation in der Produktion durchgeführt, welche zur Modellweiterentwicklung und -adaption sowie zur Programmierung zweier Software-Tools herangezogen wurden. Durch die Weiterentwicklung der einzelnen Partialmodelle zur quantitativen Berechnung der Auswirkung von Reihenfolgebildungsregeln auf das Terminabweichungsverhalten an Arbeitssystemen und die Verknüpfung dieser mittels der zentralen Kopplungsgröße „Terminabweichungsstreuung“, ist zukünftig eine verhältnismäßig einfache Berechnung der Auswirkung einer Reihenfolgestrategie auf die logistischen Zielgrößen möglich. Zur Unterstützung industrieller Anwender bei der Ableitung einer Reihenfolgestrategie wurde zudem ein Vorgehensmodell entwickelt. Um auch eine automatisierte Berechnung der Auswirkung einer erdachten Reihenfolgekonfiguration zu ermöglichen, wurden im Rahmen des Forschungsvorhabens zudem zwei Software-Tools entwickelt. Ein Software-Tool ermöglicht die Berechnung zur Auswirkung einer Reihenfolgestrategie auf das Terminabweichungsverhalten einzelner Arbeitssysteme sowie des betrachteten Produktionsbereichs. Dieses Software-Tool benötigt Rückmeldedaten aus z.B. einem ERP-System und kann mittels eines Cockpits konfiguriert werden. Das zweite Entwickelte Software-Tool ist ein Demonstrationsprogramm, das die prinzipielle Verknüpfungslogik der einzelnen Modelle visualisiert und dem Anwender ermöglicht verschiedene Einflussfaktoren zu verändern. So kann die Wirkung der Reihenfolgeverfahren unter veränderlichen Bestandsniveaus, Materialflussbeziehungen sowie unter Einbeziehung einer Sicherheitszeit in einem Puffer untersucht wurde. Die Software-Tools können unter http://go.lu-h.de/reihenfolgestrategien abgerufen werden. Die im Rahmen des Forschungsprojektes erzielten Forschungsergebnisse legen das Fundament für die Ableitung einer logistikorientierten Reihenfolgestrategie im Spannungsfeld zwischen Produktivität und Termintreue in der industriellen Praxis. Das Erkenntnistransferprojekt hat zudem gezeigt, dass die allgemeine Gestaltung von Produktionssystemen auch in der Zeit von Industrie 4.0 und Digitalisierung von großer Bedeutung für Unternehmen ist, da nur durch eine gute und strategische Produktionssystemgestaltung die Grundlage für eine hohe logistische Wirtschaftlichkeit geschaffen werden kann. Die durch die Kooperation zwischen den Forschungspartnern entdeckten Fragestellungen für die Grundlagenforschung (z.B. die Wirkung von Mischstrategien im Rahmen der Reihenfolgebildung) wurden zum Teil bereits in neuen Forschungsanträgen adressiert. Eine weitergehende Kooperation zwischen der Forschungseinrichtung und dem Kooperationspartner ist angedacht.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2019): Produktionssteuerung von komplexen Materialflüssen. Berücksichtigung von Wechselwirkungseffekten zur Erreichung einer hohen logistischen Leistungsfähigkeit. ZWF Zeitschrift für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb 2019, Band 114, Ausgabe 12, S.828-834
Seitz, M.; Mütze, A.; Nyhuis, P.
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(2019): Produktivität versus Termintreue. Logistikorientierte Auftragsreihenfolgebildung für mehrstufige Produktionsprozesse. wt-online 4-2019, Seite 204-208
Seitz, M.; Mayer, J.; Mütze, A.; Nyhuis, P.
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(2020): Deriving of Sequencing Strategies for Multi-Stage Productions Supported by Logistic Models and Software Tools. 1st Conference on Production Systems and Logistics (CPSL), 17.03.2020 - 20.03.2020 in Stellenbosch/Südafrika
Mütze, A.; Nyhuis, P.