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Anstandsbücher, Etiquette Books und Traités de Savoir-Vivre 1870–1930: Verhaltensratgeber als politische Medien?

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2018 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 411769824
 
Auf den Buchmärkten der Zeit von 1870–1930 waren Anstandsbücher ein Massenphänomen. Vor allem Soziologie, Ethnologie und Literaturwissenschaften haben sich seit etwa 1970 diesen Publikationen gewidmet und nach ihrer Funktion für die Entwicklung sozialer Verhaltensnormen, Klassen und Geschlechterrollen gefragt. Dabei identifizierten sie als Zielgruppen bestimmte Schichten, Altersgruppen und Geschlechter, die in sozial bewegter Zeit Orientierung suchten und deren Bedürfnisse von den Urheber/-innen der Etiketteliteratur aufmerksam registriert wurden. Die politische Dimension des Genres wurde dabei jedoch ausgeblendet. Vorstudien des Antragstellers haben diese neue Richtung verfolgt und ergeben, dass Anstandsbücher vermutlich Einstellungen und Haltungen weltanschaulich, politisch oder konfessionell definierter Gruppen (d. h. politischer Teilkulturen) aufnahmen und beeinflussten und ihnen so als Medien zur Selbstvergewisserung und Abgrenzung dienten. Diese Hypothese soll im Rahmen einer grundlegenden Studie erstmals in einer Langzeitperspektive anhand einer großen Menge von Quellen international vergleichend überprüft werden. Im Fokus stehen dabei Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die um 1900 auf dem Gebiet der Etiketteliteratur führend waren. Auf diese Weise will das Projekt nicht nur Eigenschaften und Bedeutung des Genres im Grundsatz bestimmen, sondern auch einen Beitrag zu zwei sehr jungen, aufstrebenden historischen Forschungsfeldern leisten: dem Verhältnis von Medien und politischen Teilkulturen sowie der Entwicklung und Funktion von Massenmedien generell. Zu diesem Zweck sollen 270 Anstandsbücher untersucht werden, 30 aus jedem der drei Länder in jeweils drei Auflagen, wobei sich der Zeitraum 1870–1930 auch aus politik- und strukturgeschichtlicher Perspektive anbietet. Außerdem soll im Rahmen einer Stichprobe in bis zu 30 Verlagsarchiven recherchiert werden, um Aufschluss über die Absichten der Urheber/-innen dieser Werke sowie vor allem über die Rezeption durch die Zielpublika zu erlangen. Konkret soll so erforscht werden, in welchem Maß sich Anstandsbücher zu politischen Fragen im weiteren Sinne äußerten und für ihre Leser/-innen zum Leitfaden werden konnten, wie die Werke von Zielgruppen und Rezensent/-innen aufgenommen wurden, wie Verfasser/-innen und Verlage auf Rückmeldungen und Wandlungen ihrer Klientel reagierten, ob die Etiketteliteratur für bestimmte politische Teilkulturen wichtiger als für andere, sowie in den betrachteten Ländern von unterschiedlicher Bedeutung war, und welche Gründe sich dafür jeweils benennen lassen. Die Ergebnisse des auf drei Jahre angelegten Projekts werden in einer Monographie veröffentlicht, die weiterführende Studien zu den Hintergründen von Angebot und Nachfrage, zu etwaigen transnationalen Verflechtungen der Verfasser/-innen, zum Wechselverhältnis von Medien und sozialen Entwicklungen sowie zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden politischer Kulturen in globaler Perspektive ermöglichen soll.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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