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Gerüchte und Gewalt

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2007 bis 2012
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 41283686
 
Gerüchte sind eine flüchtige, informelle Form der Kommunikation. Sie transportieren ungesichertes Wissen, aber sie finden Verbreitung, wenn die in ihnen enthaltenen Vorstellungen von der Beschaffenheit der Welt für plausibel gehalten werden. In Gerüchten spiegelt sich der Erwartungs- und Deutungshorizont der Menschen, unter denen sie kursieren und aus deren Ängsten sie ebenso schöpfen wie aus deren Hoffnungen. Sie verleihen dem Unverstandenen, Unerklärlichen und Bedrohlichen einen Sinn. Und indem sie eine eigene soziale Wirklichkeit konstruieren, markieren Gerüchte auch eine Grenze, wo das „Eigene endet und das „Fremde beginnt. Aber nicht nur dies: Gerüchte schreiben Menschen jenseits dieser Grenze Eigenschaften zu, die sie als Angehörige einer feindlichen Kultur ausweisen. Sie verwandeln die Vertreter der eigenen Gruppe in mobilisierbare Gemeinschaften. Wenn erst die künftigen Täter und ihre potentiellen Opfer durch das Gerücht beschrieben sind, ist es bis zum Umschlagen in Gewalt oft nur ein kleiner Schritt. Dazu aber bedarf es eines Kontexts, der Gewalt zulässt bzw. nicht zu verhindern weiß.Für den Staat waren Gerüchte hochambivalent: Sie waren ein Medium der Kommunikation, das von den Eliten nicht beherrscht, sondern allenfalls beeinflusst werden konnte. Jedermann, von den Bauern bis zu den Vertretern des Staates, wüsste, welche Wirkung von Gerüchten ausgehen konnte. Damit stand die politische Herrschaft vor der Herausforderung, informelle Formen der Kommunikation zu unterbinden. Manchmal übertraf dabei die Gegengewalt des Staates das antizipierte Mobilisierungspotential von Gerüchten um ein Vielfaches.Alternativ konnte der Staat Gerüchte für eigene Machtzwecke instrumentalisieren, um die eigene Sicht der Dinge plausibel zu machen. In diesem Fall kam es für die Herrschaft darauf an, in der Welt der Gerüchte auf dominierende Art und Weise präsent zu sein. Gleichzeitig galt: Je mehr Gerüchte sich über die Absichten der Macht verbreiteten und je weiter sie von den Repräsentationen der Eliten-Herrschaft entfernt waren, desto größer war der Vertrauensverlust des Staates in den Provinzen.Die Macht, die von Gerüchten ausgeht, fand auch als Herrschafts- und Disziplinierungsinstrument am Hofe Stalins Verwendung. Mit Hilfe von Gerüchten hielt der Diktator seine Umgebung in einem Zustand permanenter Unsicherheit. Er war ein Meister In der Inszenierung von Gerüchten. Man wird die Essenz dieser Despotie nicht verstehen, wenn man nicht weiß, was ein Gerücht ist und was es bewirken kann.Da die hier skizzierten Zusammenhänge und Aspekte für die russische und sowjetische Geschichte noch nicht systematisch untersucht worden sind, leistet das Projekt Pionierarbeit.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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