Urbane Musikkultur in oberdeutschen Reichsstädten zwischen 1500 und 1800 – Musikernetzwerke zwischen Rothenburg o. d. Tauber, Nördlingen und Dinkelsbühl
Germanistische Mediävistik (Ältere deutsche Literatur)
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das DFG-Projekt „Urbane Musikkultur in süddeutschen Reichsstädten zwischen 1500 und 1800" musste bereits kurz nach Beginn die Einschränkungen der Covid-19-Pandemie mit der Schließung der städtischen Archive und dem Ausschluss von Präsenzkontakten hinnehmen. Aufgrund der parallel zum DFG-Projekt vom Bavarikon-Portal bei der Bayerischen Staatsbibliothek bewilligten und finanzierten Digitalisierung der originalen Dokumente in den Archiven der Städte Rothenburg, Nördlingen und Dinkelsbühl war eine weitere Projektarbeit möglich. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts leisteten sich noch wenige Städte (in der Regel waren es Reichsstädte mit günstigen finanziellen Verhältnissen) selbständige Musikerensembles, die von den Türmern abgekoppelt wurden. Die Türmer blieben auf dem funktionalen Status des Signalgebens, konnten gelegentlich mit den Stadtpfeifern musizieren. Die professionellen Musiker erhielten höheres Gehalt, das sie zusätzlich mit dem Aufspielen bei Hochzeiten und Tanzveranstaltungen deutlich aufbessern konnten. Da in allen Stadtpfeifereien weit über den Bedarf hinaus junge Nachwuchsmusiker ausgebildet wurden, blieb für viele nur der Status von Freiberuflern. Diese zahlenmäßig immer größer werdende Gruppe wurde bislang von der Forschung vollkommen vernachlässigt. Da ihr Lebensunterhalt ausschließlich von den Einnahmequellen gespeist wurde, die den festangestellten Musikern zusätzliche Einkünfte bescherten, resultierten daraus unzählige Konfliktsituationen, die nicht selten in Handgreiflichkeiten ausarteten. Die engen Konkurrenzbedingungen sorgten dann aber nicht für eine Belebung des Geschäfts, sondern konnten die Entwicklung der professionellen Musik über Jahrzehnte beeinträchtigen, wie die Dokumente in Rothenburg aus dem 17. Jahrhundert deutlich zeigen. Dort wurden die Animositäten sogar über mehrere Generationen in den Familien der Musiker weitergegeben. Wo aber die Netzwerkmöglichkeiten über die Stadtgrenzen hinaus genutzt wurden, gelang eine Prosperität, wie das Beispiel Nördlingen/Dinkelsbühl mit den Familien Hetsch und Klotz dokumentiert. Mit der bereits vorgelegten Anthologie-Edition zu den Stadtpfeifern in Nördlingen und Dinkelsbühl sowie mehreren Aufsatzpublikationen sind inzwischen große Teile der Projektergebnisse von beiden beteiligten Fächern öffentlich publiziert. Dazu kommen die online zugänglichen Digitalisate bei Bavarikon. Ein Tagungsband und die Publikation der übertragenen Rothenburger Dokumente ermöglichen weitere Forschungen, mit denen sich der Netzwerkcharakter des neuzeitlichen Stadtpfeiferwesens bestätigen lässt. Für den Bereich der modernen Musiksoziologie bietet es sich sogar an Vergleiche zu ziehen zwischen Untersuchungen zur aktuellen Situation in der Musikausbildung sowie dem Konkurrenzverhältnis von Berufsmusikern und Freiberuflern und den Studien zu genau diesen Themenbereichen in der Vergangenheit. Es lassen sich bemerkenswerte Parallelen entdecken.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Stadtpfeifer in der süddeutschen Städtelandschaft. Professionalisierung, Konflikte, Reisen. In: Wolfgang Wüst und Klaus Wolf (Hrsg.), Die süddeutsche Städtelandschaft - ein interregionaler Vergleich, Frankfurt/Main und Berlin: Peter Lang, 2021, S. 249-262.
Körndle, Franz
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Stadtmusiker in Dinkelsbühl und Nördlingen 1500-1800. Eine Anthologie (Editio Bavarica, hg. von Klaus Wolf, Bd. 10), Regensburg: Pustet 2022 (432 S.)
Tasler, Angelika & Schwarz, Ulrike
