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Partizipation in Organisationskulturen der Heimerziehung

Fachliche Zuordnung Erziehungswissenschaftliche Sozialisations- und Professionalitätsforschung
Förderung Förderung von 2019 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 419403819
 
Erstellungsjahr 2023

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt untersucht Partizipations- und Beschwerdeprozesse junger Menschen in stationären Erziehungshilfen, die Rolle formaler Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren sowie mögliche Schutzfunktionen dieser formalen Beschwerdeverfahren. Aufgrund der umfangreichen Stichprobe sind die Ergebnisse des qualitativen Projekts aussagekräftig für die Heimerziehung in Deutschland insgesamt. Die Ergebnisse belegen, dass nicht formale Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren für die Umsetzung der Partizipationsrechte junger Menschen ausschlaggebend sind, sondern die in den Wohngruppen bestehenden organisationalen (Sub-)Kulturen. Während in partizipativen Subkulturen Adressat*innen ihre Rechte gut kennen und umfassend in der Mitbestimmung im Alltag von Fachkräften unterstützt werden, zeigte sich etwa in oppositionalen Subkulturen, dass Fachkräfte ihre Vorstellungen eines vermeintlich „normalen“ Alltags gegenüber den Adressat*innen mithilfe von Disziplin und Zwang durchsetzen, Kinderrechte missachten und massive Konflikte den Alltag prägen. Da sie ebenso wie partizipative Wohngruppen formal Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren gem. § 45 SGB VIII aufweisen, wird auch oppositionalen Wohngruppen die Einhaltung der UN-Kinderrechte zugeordnet, obwohl dies faktisch nicht der Fall ist. Der dritte Typus, sogenannte routinisierte Subkulturen, zeichnen sich durch eine Orientierung an Routinen und Bürokratisierung von Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren aus, sodass individuelle Belange von Adressat*innen häufig keine Berücksichtigung finden. Drei wichtige Impulse liefern die Projekterkenntnisse: 1. Sie belegen, dass Partizipations- und Beschwerdeprozesse im Alltag einen zentralen Stellenwert für Adressat*innen und die Hilfeerbringung einnehmen. Es konnte belegt werden, dass sich Partizipationsprozesse im Alltag förderlich auf den Hilfeverlauf auswirken, etwa indem Wünsche der Adressat*innen durch Fachkräfte im Hilfeplangespräch gegenüber dem Jugendamt unterstützt wurden. Dies sind neue Impulse für den internationalen Fachdiskurs, in dem Partizipation wesentlich auf die Hilfeentscheidungen und das Hilfeplanverfahren fokussiert ist. 2. Belegen die Ergebnisse, dass formale Beschwerdeverfahren in den Einrichtungen (gem. § 45 SGB VIII) selten effektiv sind, wenn es um Meldungen von Viktimisierung oder Gewalthandlungen geht. Die Umsetzung formaler Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren ist mit großen Handlungsspielräumen der Fachkräfte im Alltag verbunden, während widerständige Praktiken der Kinder und Jugendlichen, wenn sie Protest gegen bestehende Praktiken im Alltag ausüben, eher an den Rändern des Alltags verbleiben und mit dem Risiko verbunden sind als „schlechte“ Klient*innen adressiert zu werden. 3. Belegen die Ergebnisse, dass aufgrund der Machtdynamiken in den Einrichtungen oder aufgrund spezifischer Bedarfe der Kinder und Jugendlichen selbst, Wünsche nach Mitbestimmung über performative Praktiken und nicht über verbale Äußerungen im Sinne von „Voices“ erfolgen. Es erscheint daher wichtig und notwendig, Partizipation im Kontext der UN-KRK neu zu denken und eine Erweiterung der Fokussierung auf „Voice“, die „Stimme der Kinder“ anzustreben. Ergänzend wurden Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen in den stationären Einrichtungen untersucht. Während der Pandemie berichteten viele Kinder und Jugendliche von vielfältigen Einschränkungen ihrer Beteiligungsmöglichkeiten, u.a. über Einschränkungen in der Freizeitgestaltung, weniger Aktivitäten mit der Gruppe und mit den Fachkräften, dafür von mehr Konflikten innerhalb der Peers.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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