Politische Gewalt in der Bundesrepublik. Bewegung 2. Juni − Revolutionäre Zellen/Rote Zora − Rote und Schwarze Hilfen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die beiden Studien zu den Revolutionären Zellen (Bearbeiterin: Anna Greithanner) und den Roten und Schwarzen Hilfen (Bearbeiter: Dominik Aufleger) sind in einem stetigen gemeinsamen Diskussionsprozess konzipiert, weiterentwickelt und realisiert worden. Der Zuschnitt des Gesamtprojektes sah zunächst vor, politische Gewalt in den Fokus der Untersuchungen zu stellen. Die dafür bislang etablierten Zugänge (Terrorismus- und Gewaltforschung, Radikalisierungs- und Extremismusforschung), die sich auf die Illegalität und Illegitimität nichtstaatlicher Gewalt fokussieren, erwiesen sich jedoch in der Sicht der Bearbeiter:innen als wenig geeignet: zu schematisch und zu linear, um die zum Teil gegenläufigen und widersprüchlichen Entwicklungen innerhalb der Gruppierungen abzubilden – zumal es sich weder bei den RZ noch bei den RSH um greifbare Organisationen im eigentlichen Sinn handelte; vor allem aber a priori zu sehr auf den Aspekt der Gewalt fokussiert, um den Untersuchungsgegenständen gerecht zu werden, denn politische Gewalt stellte nur einen Teil des Handlungsrepertoires der RZ und lediglich einen Bruchteil der Aktivitäten der Solidaritätsgruppen dar. Um der Komplexität der Untersuchungsgegenstände gerecht zu werden, haben sich deshalb beide Bearbeiter:innen entschieden, die politische Gewalt in eine breitere Analyse der politischen Praxis der beiden Gruppierungen zu integrieren. Die Konstitutions-, Ausdifferenzierungs- und Erosionsprozesse der Gruppierungen können nur dann analytisch gefasst werden, wenn sie in ihrem historischen Kontext untersucht werden. RZ und RSH verorteten sich zunächst in der undogmatischen Linken der 1970er Jahre und erklärten sich im zeitlichen Verlauf mit unterschiedlichen Adressatengruppen (Randgruppen, Proletariat, linke Szene, inhaftierte Genoss:innen, Geflüchtete) solidarisch bzw. versuchten, diese gemäß zeitgenössischer Revolutionskonzepte zu agitieren. Diesen unterschiedlichen Zielgruppen entsprechend nutzten sie verschiedene militante wie nicht-militante Praktiken, die sie im Verlauf anpassten, weiterentwickelten und teils wieder aufgaben. Ab Ende der 1970er Jahre agierten beide Gruppierungen im Rahmen der Neuen Sozialen Bewegungen. Damit zeigt sich, dass gängige Zäsuren hinterfragt und differenziert werden müssen: Denn entgegen bisheriger Forschungsergebnisse zum Themenfeld des „Linksterrorismus“, die die bundesrepublikanischen Entwicklungen häufig einzig anhand der Geschichte der RAF erzählen, bedeutete 1977 nicht den Niedergang der gesamten radikalen bzw. militanten Linken. Mit den RZ und den RSH untersuchten Anna Greithanner und Dominik Aufleger Gruppierungen aus der linken Protestbewegung, die sich nicht in eine einfache Dichotomie von gewalttätigen und gewaltlosen Aktivist:innen einschreiben lassen. Die Studien setzen den bekannten Erzählungen vom gewaltvollen Erbe der 68er-Revolte hin zum „Deutschen Herbst“ einerseits und den vermeintlich friedlichen Protesten der Neuen Sozialen Bewegungen andererseits historische Kontinuitäten, Wechselwirkungen und Graustufen entgegen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Transnationale Lernerfahrungen militanter Organisationen am Beispiel der Bewegung 2. Juni. In: Adrian Hänni/Daniel Rickenbacher/Thomas Schmutz (Hg.): Über Grenzen hinweg. Transnationale politische Gewalt im 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main, New York 2020, S. 259–280.
Max Gedig
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Erwartete Enttäuschungen? Zur Geschichte des Sozialistischen Patientenkollektivs Heidelberg (SPK). In: Bernhard Gotto, Anna Ullrich (Hrsg.): Hoffen, Scheitern, Weiterleben. Enttäuschung als historische Erfahrung in Deutschland im 20. Jahrhundert, Berlin/Boston 2021, S. 177–194.
Anna Greithanner
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Andreas Baader, Ulrike Meinhof und hunderte Palästinenser:innen? Das Olympia-Attentat 1972, in: Zeitgeschichte-online, 15.7.2022
Dominik Aufleger, Anna Greithanner & Robert Wolff
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Digitaler Erinnerungsort Fürstenfeldbruck, 05.09.2022
Landratsamt Fürstenfeldbruck
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Ein Albtraum, der nicht vergehen will. 50 Jahre nach dem palästinensischen Überfall auf die israelische Olympia-Mannschaft in München ringen die Familien der Opfer noch immer um eine angemessene Entschädigung und fragen: Was genau ist damals geschehen?, in: Die Zeit, 4.8.2022, S. 16-17
Dominik Aufleger, Anna Greithanner & Robert Wolff
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Linke Militanz als städtisches Phänomen. West-Berlin in den 1970er-Jahren. In: Stadtgeschichten. Ein Blog der Gesellschaft für Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung (GSU), 25.3.2022
Dominik Aufleger & Anna Greithanner
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Tagungsbericht: Global Europe Underground, in: H-Soz-Kult, 25.08.2022
Dominik Aufleger & Anna Greithanner
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Warum die Geiselbefreiung in Fürstenfeldbruck so furchtbar scheiterte, in: Spiegel-Online, 05.09.2022
Dominik Aufleger, Anna Greithanner & Robert Wolff
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Politische Gewalt in der Bundesrepublik. De Gruyter.
Gedig, Max
