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Die streitende Demokratie. Auswirkungen des ‚Radikalenerlasses‘ auf Gesellschaft und Subjekte am Beispiel der Institution Schule, 1967-1989

Fachliche Zuordnung Allgemeine und Historische Erziehungswissenschaft
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2019 bis 2023
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 425213234
 
Erstellungsjahr 2023

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Forschungsprojekt hatte zum Ziel, die Auswirkungen des „Radikalenerlasses“ von 1972 im Bildungsbereich genauer in den Blick zu nehmen. Für das Land Bremen wurden unterschiedliche Quellengattungen herangezogen – Interviews mit Zeitzeug*innen Flugblätter, Behördenvorgänge, Konferenzprotokolle – und zu der Berichterstattung in bildungsreformerischen Medien in Beziehung gesetzt. Obwohl der Radikalenbeschluss kein bildungspolitisches Instrument war, beeinflusste er bildungsreformerische Politiken und den schulischen Alltag erheblich. So wurden einzelne Unterrichtseinheiten, die sich an bildungsreformerischen Grundsätzen orientierten, nun als „verfassungsfeindlich“ sanktioniert. Mehr noch: mit Verweis auf die vermeintlich mangelnde Verfassungstreue der unterrichtenden Personen wurde im Einzelfall versucht, bildungsreformerische Debatten gänzlich zu verhindern. Umgekehrt fühlten sich führende Bildungsreformer aufgerufen zu protestieren, da sie das Projekt der Bildungsreformen insgesamt in Gefahr sahen. Der Diskurs um Radikale im öffentlichen Dienst entfaltete auch vielfältige aktivierende Effekte. Diese reichten von der Solidarisierung bis zur Radikalisierung, etwa sich als unpolitisch verstehender Kolleg*innen oder Schüler*innen. Dabei trafen unterschiedliche Demokratiekonzepte aufeinander: Während staatliche Stellen auf die Mitgliedschaft in „extremistischen“ Gruppen verwiesen, bezogen sich mit den Betroffenen solidarisierende Kolleg*innen, Eltern und Schüler*innen auf deren pädagogische Qualifikationen und betonten schulische Autonomie und Meinungsfreiheit als demokratische Grundlagen. Für die bremische Schüler*innenbewegung dienten „Berufsverbote“ gegen Lehrkräfte gar als Katalysator, um eigene Partizipationsansprüche geltend zu machen. Auch konservative Eltern machten sich den Radikalenerlass zunutze. Dabei war zumeist nicht die Entfernung einer Lehrkraft aus dem Dienst das Ziel, sondern die Einflussnahme auf Unterrichtsinhalte. Konservative Schüler*innengruppen nutzten die Debatte um „rote Lehrer“, um angesichts linker Deutungshoheiten ihr Profil zu schärfen. Trotz insgesamt weniger Fälle, in denen linkes politisches Engagement zu einer dauerhaften Entfernung aus dem Dienst führte, waren Berufsverbote daher als Thema nicht nur in bildungsreformerischen Zeitschriften omnipräsent. Doch zeigt das Projekt auch, dass Deutungen der 1970er Jahre als „Zeit der Resignation“ zu kurz greifen. Standhaftigkeit und Empörung waren wichtige Ressourcen linker Lehrer*innen angesichts drohender Berufsverbote, behinderten jedoch eine notwendige Neujustierung bildungsreformerischer Ziele und Strategien, etwa angesichts einer utopisch überhöhten Erwartung an die gesellschaftsverändernde Macht der Pädagogik. Die diskursive Figur der Resignation angesichts „politischer Repression“ und „Gegenreform“ erlaubte es, diese Transformation vorzunehmen. Die 1970er Jahre erscheinen so als Zeit der Transformation bildungspolitischer Konzepte und pädagogischer Subjektivierungsweisen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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