Die Isländersagas als Prosimetrum
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Forschung zur mittelalterlichen Sagaliteratur im Allgemeinen und den Isländersagas im Besonderen hat sich vor allem mit verschiedenen Aspekten der Erzählprosa befasst, während die in den Texten zitierten Strophen in der Regel separat im Kontext poetischer Tradition diskutiert werden. Strophen aus den Sagas wurden meist im Hinblick auf ihre Authentizität und Datierung untersucht. Neuere Studien befassen sich mit der Entwicklung des Genres aus der Perspektive der den Texten enthaltenen Strophen. Damit greifen sie einen Aspekt auf, der zuvor im Zusammenhang mit der mündlichen Überlieferung, der möglichen Fragmentierung ganzer Gedichte und der Frage der Begleitprosa diskutiert wurde. Unser Projekt stützte sich erstmals auf Belege aus allen 26 prosimetrischen Íslendingasögur und sammelte Daten zur Funktion zitierter Strophen in den Isländersagas. Wir erweiterten unsere Untersuchung auf andere – bereits in früheren Arbeiten angesprochene – formale Aspekte der Relation von Vers und Prosa und entwickelten Kriterien für die Analyse literarischer Effekte, die sich aus dem Unterschied zwischen von der Erzählstimme zitierten Versen und den von intradiegetischen Charakteren zitierten oder ‘aufgeführten’ Strophen ergeben. Die umfangreiche Datenerfassung (jede prosimetrische Szene im Korpus wird dokumentiert und mittels über 300 spezifischer Unterkategorien analysiert) ermöglichte es uns, einige frühere Annahmen über die Funktion des Prosimetrums zu korrigieren und auf neue Aspekte des prosimetrischen Stils aufmerksam zu machen, die über unsere Datenbank identifiziert und mit anderen literarischen Phänomenen korreliert werden können. Wir können beispielsweise zeigen, dass die postulierte Dichotomie zwischen authentifizierenden und situativen Strophen bei weitem nicht ausreicht, um die unterschiedlichen Funktionen von Strophen in der Sagenprosa zu erklären. Unsere Daten zeigen auch, dass der Konflikt zwischen verschiedenen Stimmen ein zentraler Aspekt des Sagaprosimetrums ist und Auswirkungen auf das Konzept der Autorschaft in diesen Texten hat. Darüber hinaus zeigt sich, dass der bisher angenommene Zusammenhang zwischen bestimmten Metren und dem Geschlecht der Sprecher von Strophen nicht zutrifft. Unsere Analyse zeigt auch, dass die vorherrschende Annahme, Strophen vermitteln in größerem Maße als die Prosa Gefühle der Charaktere, nicht wirklich zutrifft. Unsere Forschung zeigt, dass die Integration von Strophen weitreichende Auswirkungen auf die ästhetische Faktur der Sagas hat.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
-
The Language of Feeling in Njáls saga and Egils saga : Construction of an Emotional Lexis. Scripta Islandica: Isländska Sällskapets Årsbok, 71.
Þorgeirsdóttir, Brynja
-
Dissonant Voices in the Prosimetrum of Heiðarvíga saga. Þáttasyrpa – Studien zu Literatur, Kultur und Sprache in Nordeuropa, 179-187. A. Francke Verlag.
Wilson, Alexander
-
Investigating the Íslendingasögur as Prosimetrum: A New Methodology. Viking and Medieval Scandinavia, 18, 51-81.
Þorgeirsdóttir, Brynja; Gropper, Stefanie; Quinn, Judy; Wills, Tarrin & Wilson, Alexander
-
Þuríðr Barkardóttir and the Poetry of Eyrbyggja saga. Þáttasyrpa – Studien zu Literatur, Kultur und Sprache in Nordeuropa, 167-177. A. Francke Verlag.
Quinn, Judy
-
Grotesque Emotions in Old Norse Literature: Swelling Bodies, Spurting Fluids, Tears of Hail. Emotional Alterity in the Medieval North Sea World, 17-42. Springer International Publishing.
Þorgeirsdóttir, Brynja
-
The Creativity Paradox: Verse Quotation in the Íslendingasögur [Mediävistische Perspektiven 14]. Zürich: Chronos, 2023.
Quinn, Judy
-
Intrusive Dreams and Converging Worlds in the Íslendingasögur. Medieval Texts and Cultures of Northern Europe, 31-55. Brepols Publishers.
Wilson, Alexander
