'Grikkland' und 'Varangia'. Die byzantinisch-skandinavischen Kulturkontakte in der Wikingerzeit (ca. 800 - 1096)
Final Report Abstract
Gegenstand des Projekts waren die Beziehungen zwischen dem skandinavischen Raum und dem Byzantinischen Reich während des nordischen Hochmittelalters (ca. 1100-1300), als die Integration des Nordens in die lateineuropäische Kultur vollendet wurde. Während dieser Zeit bestanden indes dichte Kulturkontakte mit dem byzantinischen Kulturraum durch skandinavische Migranten, die vornehmlich in der "Warägergarde" der byzantinischen Kaiser dienten; andererseits hinterließen Skandinavier in Byzanz gleichfalls Spuren. Es war daher das Ziel des Projekts, auf der Basis einer bis heute nicht geleisteten und dringend benötigten transdisziplinären Gesamtschau aller relevanten Quellen - skandinavischer, byzantinischer und lateineuropäischer Textzeugen, kunstgeschichtlicher und archäologischer Zeugnisse - die byzantinisch-skandinavischen Kulturkontakte und ihre Konsequenzen für den skandinavischen und den byzantinischen Kulturraum in ihrer diachronen Entwicklung zu analysieren. Als wichtigstes und durchaus umwälzendes Ergebnis bleibt festzuhalten, dass in der Tat nicht wie bisher angenommen die Wikingerzeit eine Kernzeit byzantinisch-skandinavischer Kulturkontakte darstellte, zumal sich die berüchtigte "Warägergarde" außer für die Zeit um 1200 als ein Mythos erweist. Die entscheidende Periode dieser Kulturbeziehung ist die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts. Erst zu dieser Zeit treffen dichte Kontakte, die schon seit Jahrhunderten bestanden, auf ein hohes kulturelles Rezeptionspotential in den skandinavischen Gesellschaften. Insofern markiert die Zeit um 1200 eine Schlüsselperiode sowohl für die Geschichte der Kulturbeziehung als auch für die Ummünzung bestehender Kontakte in kulturelles Kapital an beiden Enden des Migrationsweges: Für die Byzantiner waren "Waräger" bei Hofe im Zeremoniell nun unverzichtbar geworden, auch als die Kontakte längst abgebrochen waren. Das Wissen jener Zeit, als Skandinavier als Kreuzfahrer und Militärs im Umfeld des Hofes Zugang zu zentralen Bereichen der byzantinischen Kultur hatten, bildet zudem einen zentralen Ausgangspunkt für die Konstruktion eines nordischen "heroic age", wie es sich in dänischen Quellen und in den Königssagas in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts ausbildet. Die Geschichtspolitik jener Jahre, welche praktisch komplett älteres Wissen über Byzanz überformte, wirkte bis in die Neuzeit, gar bis in die moderne Forschung hinein identitätsbildend, gerade im Hinblick auf eine skandinavische Sonderstellung im europäischen Geflecht der Kulturen. So ist es letztlich viel weniger als bisher geglaubt die Offenheit der wikingerzeitlichen Gesellschaften, denen Byzanz seine Bedeutung für die Fundierung eines skandinavischen Sonderbewusstseins in Europa und seiner Inszenierung in lokaler Kunst und Literatur verdankt, sondern die komplexe Verflechtung der skandinavischen Länder mit dem Euromediterraneum im Hochmittelalter. Mit diesem Ergebnis eröffnen sich neue Perspektiven auf die Komplexität des mittelalterlichen "Europa" als kulturelles Gefüge und seine langfristigen Wirkungen auf nationale Identitäten.