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Schaden ohne Kompensation - Kompensation ohne Schaden - Erfordern Massenschäden Modifikationen des Schadensrechts?
Antragstellerin
Professorin Dr. Astrid Stadler
Fachliche Zuordnung
Privatrecht
Förderung
Förderung von 2019 bis 2023
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 429842187
Massenschäden werden traditionell unter dem Aspekt neuer prozessualer Instrumente diskutiert. Solche sind in vielen Mitgliedstaaten inzwischen implementiert, ein RiLi-Vorschlag der EU-Kommission liegt vor (2018). Ungeklärt ist aber nach wie vor die vornehmlich materiellrechtliche Frage, ob die prozessuale Komplexität von Massenschäden Modifikationen des Schadensrechts erfordert und inwieweit solche legitim sind. Dabei zeichnen sich zwei Gefahren ab, die mit dem Kompensationsprinzip des Schadensrechts kollidieren: Über- und Unterkompensation. Untersucht wird rechtsvergleichend erstens, wie mit Bagatell- und Streuschäden umzugehen ist. Kollektive opt-out-Schadensersatzklagen und Gewinnabschöpfungsklagen stehen sich als Optionen gegenüber. Erstere führen häufig dazu, dass der aufgrund Urteil oder Vergleich zur Verfügung gestellte Betrag von den Geschädigten nicht oder nur zu einem kleinen Teil tatsächlich beansprucht wird. Die EU-Kommission schlägt daher im Anschluss an anglo-amerikanische Praxis sogenannte cy près Lösungen vor. Danach soll der Schadensbetrag nicht mit hohem Aufwand an die Geschädigten verteilt werden, sondern der öffentlichen Hand oder gemeinnützigen Einrichtungen zufließen. Dieser höchst umstrittene Ansatz, über den der US Supreme Court 2019 entscheiden muss, führt dazu, dass Schäden nicht kompensiert werden und wirft die generelle Frage auf, ob Bagatellschäden von der Rechtsordnung abweichend behandelt werden dürfen. Gewinnabschöpfungsklagen könnten eine dogmatisch ehrlichere und prozessual einfachere Lösung darstellen. Im zweiten Teil sind Lösungen zu erarbeiten, wie bei Massenschäden der Nachweis individueller Schäden bzw. deren Berechnung für das Gericht bzw. für die Parteien im Zuge von Vergleichsverhandlungen erleichtert werden kann. Pauschalierungen sind hier unvermeidlich, ihre rechtliche Zulässigkeit bzw. ihre Grenzen aber ungeklärt. Verschiedene Ansätze, um komplexe Massenverfahren handhabbar zu machen, werden untersucht: konkrete Vorgaben zur richterlichen Schadensschätzung, statistisch-abstrakte Berechnungsmethoden, abstrakte Entschädigungssätze pro Verletzung nach dem Vorbild amerikanischer statutory damages. Abhilfe schaffen sollen bei Beweisproblemen – vor allem im Kartellrecht – auch gesetzliche Vermutungen und der Anscheinsbeweis. Im VW Dieselskandal wird überdies diskutiert, den Vorteilsausgleich bei Massenschäden aus Präventionsgründen und zur leichteren Erzielung von Vergleichen außer Acht zu lassen. Alle diese Ansätze bergen jedoch die Gefahr einer Überkompensation bzw. Kompensation, wo gar keine messbaren Schäden entstanden sind. Sowohl cy près bzw. Gewinnabschöpfung bei Bagatellschäden als auch Modifikationen der Schadensberechnung räumen der Prävention Vorrang vor (voller) Kompensation ein. Das Projekt untersucht beide Entwicklungen kritisch-rechtsvergleichend auf ihre dogmatische Stimmigkeit und erarbeitet Regelungsvorschläge.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen