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Diskurse über Mädchenhandel in modernen jüdischen Gesellschaften: Migration und Devianz aus der Perspektive von Geschlecht, Religion und sozialer Klasse
Antragstellerin
Professorin Dr. Rebekka Voß
Fachliche Zuordnung
Religionswissenschaft und Judaistik
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung
Förderung seit 2019
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 429880956
Das Projekt erforscht den Mädchenhandelsdiskurs in jüdischen Gesellschaften in West- und Osteuropa, der als Reaktion auf die Zunahme antisemitischer Anschuldigungen in den öffentlichen Diskussionen über Prostitution und Mädchenhandel um 1900 entstand. Im Rahmen einer Fallstudie zu Frankfurt am Main wird in einer sozial- und wissensgeschichtlichen Herangehensweise analysiert, wie sich der Mädchenhandelsdiskurs im industrialisierten Westmitteleuropa mit seiner akkulturierten bürgerlichen, durch Reformjudentum und moderne Orthodoxie geprägten jüdischen Gemeinschaft zwischen 1880 und 1933 entwickelte, d. h. von der ersten Hochphase antijüdischer Pogrome in Osteuropa bis zum Beginn der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Ziel des Projektes ist es, die Beteiligung deutsch-jüdischer Sozialreformerinnen an den internationalen Debatten über die Bekämpfung von Mädchenhandel und Prostitution exemplarisch an zentralen Akteurinnen in Frankfurt am Main aufzuarbeiten. Es werden die Beteiligung der Sozialreformerinnen an internationalen Organisationen und Übereinkommen zum Schutz gefährdeter Frauen, ihr Wissen über Ausmaß und Ursachen sowie Maßnahmen zur Prävention des Mädchenhandels untersucht. Dabei finden ihr soziales Engagement sowohl in Frankfurt als auch in Galizien Beachtung, ebenso wie die Einrichtung lokaler Hilfseinrichtungen und die damit verbundene Professionalisierung sozialer Arbeit. Es werden zum einen die Ressourcen beleuchtet, die den Akteurinnen trotz ihrer gesellschaftlich marginalisierten Position als Frauen und Jüdinnen eine Beteiligung an diesem Diskurs ermöglichten. Zum anderen wird die Rückwirkung ihrer Teilhabe daran auf die Erweiterung ihrer eigenen Handlungsräume nachgezeichnet. Zudem wird die Herkunft und soziale Situation der Nutzerinnen der Frauenschutzeinrichtungen analysiert und damit eine Gruppe von Akteurinnen beleuchtet, die von der Forschung zur Mädchenhandelsfrage bisher fast gänzlich unberücksichtigt blieb. Das Projekt will die vielfältigen Verschränkungen von Geschlecht, Religion, nationaler Herkunft und sozialer Klasse im Diskurs zum Mädchenhandel sichtbar machen. Die Verbindung dieses Diskurses mit Frauenbewegungen und der Entstehung der Sozialarbeit wird in den Kontext zentraler Emanzipationsdiskurse der modernen jüdischen Geschichte sowohl in Bezug auf die Stellung der jüdischen Frau in der jüdischen sowie bürgerlichen Gesellschaft als auch die gesamtjüdische Integration in die europäischen Nationalstaaten eingeordnet. Das Projekt leistet damit einen Beitrag zur modernen jüdischen Geschichte in West- und Osteuropa, zur Geschichte der europäischen Frauenbewegungen und der Sozialarbeit sowie zu den auch heute noch aktuellen Diskussionen über Frauen- und Menschenhandel.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen