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„Aufbruch“ oder „Zusammenbruch“? Die katholische Theologie und die Studentenbewegung von 1968
Antragsteller
Professor Dr. Hubert Wolf
Fachliche Zuordnung
Katholische Theologie
Förderung
Förderung von 2020 bis 2024
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 410907407
Viele Katholikinnen und Katholiken nahmen das Jahr 1968 als einen Bruch für ihre Religiosität und ihre Kirche wahr. Aber wie genau verhielten sich verschiedene Ausformungen des Katholischseins und die 68er-Bewegung zueinander? Und welche Rolle spielte die katholische Theologie dabei? Diesen Fragen wird sich das Teilprojekt auf zwei Wegen nähern.Zum einen ist es den 68er-Erfahrungen von Hans Küng und Joseph Ratzinger gewidmet. Diese beiden herausragenden Vertreter ihres Fachs stehen exemplarisch für das Auseinanderbrechen der „progressiven“ Fraktion auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil; zugleich sind ihre Lebenswege eng miteinander verbunden. Zum anderen wird bei der fundamentalen Wende in der Moraltheologie des Jahres 1968 angesetzt. Dazu werden, auch mit diskursanalytischen Methoden, zwei Vertreter des Fachs in den Fokus genommen, deren Arbeiten sich ebenfalls stark aufeinander bezogen: Alfons Auer und Bernhard Stoeckle.Die Theologie rund um das Jahr 1968 ist ein höchst spannender Untersuchungsgegenstand. Als des „Glaubens eigenes Denkprojekt“ (Ratschow) ist das Fach elementarer Bestandteil verschiedener Formen des Katholischseins. Und 1968 markiert einen Kulminationspunkt der grundlegenden Umwälzungen, die im Gesamtprojekt untersucht werden. Zudem waren die Entwicklungen der Theologie auch gesamtgesellschaftlich höchst relevant. Vielen Theologinnen und Theologen ging es nicht zuletzt um das „Verhältnis zur Welt“, um sozialcaritatives, bildungs-, friedens- und umweltpolitisches oder ökumenisches Engagement.Um 1968 entwickelte sich das Fach zudem für viele Menschen zu einer neuen „Leitwissenschaft“. Theologinnen und Theologen gaben Sinnangebote, Deutungshorizonte, Distinktionsmöglichkeiten und Handlungsmuster vor, auch im Sinne eines „doing emotions“. Wie nie zuvor oder danach waren sie in gesellschaftlichen Debatten gefragt, ihre Werke wurden zu Bestsellern. Mit Blick auf neue Formen des Katholischseins wirkten sie diskursstrukturierend und gemeinschaftsstiftend.Unterdessen trat die Rezeption des Konzils in ihre entscheidende Phase und überlagerte sich vielfältig mit den Studentenprotesten. Zugleich wandelte sich die Theologie durch neue institutionelle Rahmenbedingungen und den steigenden Einfluss von Frauen und männlichen Laien. Die Studentenproteste griffen auch auf die theologischen Fakultäten über, während die Enzyklika „Humanae vitae“ gegen kirchliche Autoritäten gerichtete, öffentliche Proteste entfachte. Diese waren neu im Repertoire der Praktiken des Katholischseins. Mit der Erschütterung der Institutionen gingen ebenfalls Transformationen der theologischen Semantik, neue Fragestellungen und veränderte Prämissen einher.Auffällig ist schließlich mit Blick auf 1968 die emotionale Dichotomie von Hoffnungen und Ängsten, die entlang noch heute vorhandener Konfliktlinien zu erkennen ist. Sie betreffen nicht nur das Fach, sondern allgemein die Neuformierung von Varianten des Katholischseins.
DFG-Verfahren
Forschungsgruppen