Konstruktion einer besten Basis und Vergleich von Ansatzfunktionen für schlecht gestellte inverse Probleme in den Geowissenschaften - untersucht am Beispiel der seismischen Tomographie in globaler Skala und der Modellierung des Gravitationsfelds
Geodäsie, Photogrammetrie, Fernerkundung, Geoinformatik, Kartographie
Mathematik
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Zu den Herausforderungen in der Geomathematik gehört das Lösen schlecht gestellter inverser Probleme mit Bezug zur Erde. Hier betrachten wir die Approximation a) des Gravitationspotentials auf der Erdoberfläche aus Satellitendaten (Downward Continuation) und b) des Geschwindigkeitsfelds seismischer Wellen im Erdinneren aus Laufzeiten dieser Wellen (Laufzeittomographie). In früheren DFG-Projekten hat die AG Geomathematik Siegen u.a. den (L)RFMP ((Learning) Regularized Functional Matching Pursuit) entwickelt, um derartige lineare schlecht gestellte inverse Probleme zu lösen. Ziel ist hier: in Bezug auf a) dessen Effizienz zu steigern, um große Datenmengen verarbeiten zu können, und in Bezug auf b) die Methode hin zur Anwendbarkeit auf die Laufzeittomographie weiter zuentwickeln. Der LRFMP verwendet hierbei ein so genanntes Dictionary: eine zunächst beliebig wählbare Menge an Ansatzfunktionen. Jedes System von Basisfunktionen hat seine bekannten Vor- und Nachteile. Daher ist der beabsichtigte Nutzen des LRFMP, dass durch das Vereinigen verschiedener Basen im Dictionary solche Nachteile gegenseitig kompensiert werden. In der Praxis betrifft das konkret die Kombination von globalen und lokalisierten Funktionen: Kugelflächenfunktionen (Orthogonalpolynome auf der Sphäre) einerseits und radiale Basisfunktionen und -wavelets andererseits für die Downward Continuation sowie Orthogonalpolynome auf der Kugel und finite-Element-basierte Hütchenfunktionen (FEHFs) für die Laufzeittomographie. Das gesuchte Signal wird dann vom Algorithmus durch eine Linearkombination von gewichteten Dictionaryelementen approximiert. Diese Elemente und ihre Gewichte werden iterativ durch Minimierung eines Tikhonov-Phillips-Funktionals bestimmt. Das neuere Learning Add-On ermöglicht unendlich große Dictionarys mit kontinuierlich wählbaren Parametern und einen deutlichen Effizienzgewinn. Drei Aspekte haben die hoch-dimensionalen Experimente mit der Downward Continuation ermöglicht: die Bestimmung eines effizienten Dictionarys, die Optimierung des Quellcodes und die Bestimmung des „Bottlenecks". Für die Terme, die den größten Rechenaufwand verursachen, konnten wir eine geschlossene Form finden. Damit können wir nun den Algorithmus mit circa 500 000 Datenpunkten auf kinematischen Satellitenbahnen testen. Die Ergebnisse zeigen, dass der LRFMP für hochskalierte Experimente maßgeschneidert werden kann und gute Ergebnisse liefert. Dies ist ein wichtiger Schritt hin zu Experimenten mit realen Satellitendaten. Um die Methode für die Laufzeittomographie anwenden zu können, waren auch drei Aspekte relevant: die Wahl der Dictionaryelemente, der Regularisierungsnorm und eines geeigneten Testdatensatzes. Wegen der Verwendung finiter Elemente entschieden wir uns für eine klassische Sobolevnorm als Regularisierungsterm. Da das primäre Ziel der Nachweis einer prinzipiellen Anwendbarkeit (Proofof-Concept) auf die Laufzeittomographie und das Sammeln von neuen Erkenntnissen für die Umset zung war, verwendeten wir Laufzeitabweichungen eines künstlichen Erdmodells, um somit den Fehler der berechneten Approximation quantifizieren zu können. Um trotzdem ein möglichst realistisches Szenario zu erzielen, erzeugten wir die Daten für die Quelle-Empfänger-Konstellationen realer Erd beben. Wie erwartet hatten bereits kleine Experimente hohe Laufzeitkosten, da es, im Gegensatz zur Gravitationsfeldmodellierung, keine effiziente Formel für die Vorwärtsrechnung gibt. Wir entwickelten daher eine zusätzliche Teile-und-Beherrsche-Strategie und passten die Güteparameter an, um ausreichend Daten verarbeiten zu können. Damit gelang es uns, erste Ergebnisse zu erzeugen, die zeigen, dass der LRFMP für die Laufzeittomographie anwendbar ist. Insbesondere zeigte sich, dass die Approximationsgüte lokal an die Datenabdeckung angepasst werden kann: Größere Fehler beschränkten sich auf Regionen, die von den Erdbeben kaum ausgeleuchtet waren.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(L)IPMP source code for gravitational field modelling, v2-dc-2023. Zenodo, 2023
N. Schneider
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(L)IPMP source code for travel time tomography, v3-tt-2023. Zenodo, 2023.
N. Schneider
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A matching pursuit approach to the geophysical inverse problem of seismic traveltime tomography under the ray theory approximation. Geophysical Journal International, 238(3), 1546-1581.
Schneider, N.; Michel, V.; Sigloch, K. & Totten, E. J.
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High-dimensional experiments for the downward continuation using the LRFMP algorithm. GEM -International Journal on Geomathematics, 16(1).
Schneider, N.; Michel, V. & Sneeuw, N.
