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Das Antiphonar des Ordens von Grandmont im Kontext der eremitischen Reformliturgien des hohen Mittelalters

Fachliche Zuordnung Katholische Theologie
Förderung Förderung von 2007 bis 2010
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 43762211
 
Das 11. und 12. Jahrhundert ist geprägt durch das Ringen um eine Neubestimmung des Ver-hältnisses zwischen Kirche und Welt. Neben den Kampf der Kirche gegen innere Missstände und Bevormundung durch weltliche Mächte (Gregorianische Reform) treten die Armutsbe-wegung sowie im monastischen Bereich die Bemühung um eine Rückbesinnung auf eine bib-lisch fundierte vita evangelica. Weite Teile des Mönchtums werden wegen ihrer verweltlich-ten Prachtentfaltung und der dem eigenen Ideal kaum noch entsprechenden Lebensweise scharf kritisiert. Reformansätze wollen die Benediktregel zur Geltung bringen (so z. B. bei den Zisterziensern) oder nehmen Maß am Ideal des Eremitismus, einem heute fast vergesse-nem, im Hochmittelalter aber spirituell und kulturell hoch bedeutsamen Phänomen. Zu den wichtigsten Ordensgemeinschaften eremitischen Typs zählen die Kartause und Grandmont, die fast zeitgleich von Bruno von Köln (1084) bzw. Stephan von Muret (1076) begründet wurden. Beide Orden sind bemüht, auch ihre Liturgie der gewählten Lebensform anzupassen. Als leitende Prinzipien gelten ihnen dabei eine Spiritualität der Einfachheit und Nüchternheit sowie die strikte Orientierung an der Heiligen Schrift. Die daraus resultierenden Reformliturgien zeigen sich am deutlichsten im Antiphonar, jenem Buchtyp, der die Gesänge des Stundengebets enthält. Zwar schöpfen die hier verwendeten Texte aus dem Repertoire der Tradition, doch kommen - wie erste eigene Forschungen gezeigt haben - bei der Auswahl und Anordnung Reformprinzipien zur Anwendung, deren radikale Abweichung von der Tra-dition beispiellos ist.Im Zentrum des Projekts steht die Erforschung des Antiphonars von Grandmont, das in drei noch unedierten Handschriften vorliegt (im Umfang von etwa 100, 85 und 400 Folios). Die Liturgie von Grandmont, von der sich nach der Aufhebung des Ordens im Jahre 1772 nur wenige Quellen erhalten haben, fand bisher in der Forschung praktisch keine Beachtung. Eine Edition und Kommentierung des Antiphonars der Grammontenser betritt daher Neuland so-wohl innerhalb der Liturgiewissenschaft als auch der Kulturgeschichte.Für ein vertieftes Verständnis des geistesgeschichtlichen Umfelds und der Entstehungsge-schichte der Liturgie von Grandmont ist ein Vergleich mit der Reformliturgie der Kartause von besonderem Interesse, zumal zwischen beiden Traditionen auffällige Berührungspunkte bestehen. Zum Antiphonar der Kartause liegen umfangreiche eigene Untersuchungen vor, die die Rekonstruktion einer ursprünglichen Grundschicht ermöglichen. Diese (ähnlich wie in Grandmont) am Stundengebet des Weltklerus orientierte Urgestalt der Kartäuserliturgie ist schon in den ältesten überlieferten Quellen durch eine Anpassung an die Struktur monasti-scher Liturgie überformt. Die vollständige Rekonstruktion dieser Urgestalt ist das zweite Ziel des Projekts. Auf der Grundlage dieser Urgestalt ist in einem dritten Schritt - der die beiden Forschungsziele "Grandmont" und "Kartause" zusammenführt - ein Vergleich der liturgi-schen Reformbestrebungen beider Orden möglich, von dem auch Aufschluss über Abhängig-keitsverhältnisse oder zumindest (wechselseitige) Beeinflussungen zu erwarten ist.Das Projekt zur Liturgie Grandmonts schließt in mehrfacher Hinsicht an gegenwärtige For-schung an: Zum einen ist in der Liturgiewissenschaft generell die Tagzeitenliturgie ver-gleichsweise wenig untersucht, was im krassen Missverhältnis zu ihrer fundamentalen Bedeu-tung für die christliche Spiritualität und die abendländische Kultur steht; insofern wird ein Baustein zur Füllung einer Forschungslücke in diesem Bereich bereitgestellt. Zum anderen nimmt das Projekt kirchen- und allgemein kulturhistorische Fragestellungen auf, die schon seit längerer Zeit eine stärkere Beachtung des Eremitismus innerhalb hochmittelalterlicher Reformbewegungen fordern. Darüber hinaus lassen sich von Grandmont und der Kartause aus Linien ziehen zu späteren Reformbewegungen wie zu dem sola-scriptura-Prinzip der Refor-mation und den neogallikanischen Reformbrevieren des 17. und 18. Jahrhunderts.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
Beteiligte Person Professor Dr. Hansjakob Becker (†)
 
 

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