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„Deaf History“ im deutschsprachigen Raum. Die Geschichte einer Minderheit im interdisziplinären Austausch

Antragstellerin Dr. Marion Schmidt, Ph.D.
Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Wissenschaftsgeschichte
Förderung Förderung seit 2020
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 440231776
 
Gehörlosigkeit polarisiert. Einerseits definieren die meisten hörenden Menschen sie als eine Behinderung, die durch medizinische Eingriffe geheilt und Lautspracherziehung überwunden werden soll. Andererseits empfinden viele Gehörlose den Druck, als „quasi-hörend“ funktionieren zu müssen, als belastend und ausgrenzend – zumal die vollständige Integration in die hörende Welt bis heute selten vollständig funktioniert. Viele gehörlose Menschen begreifen sich als Teil einer soziolinguistischen Minderheit, deren Geschichte als selbst- und fremddefinierte Gemeinschaft bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht.Lange wurde die Geschichte von Taubheit und gehörlosen Menschen vor allem von hörenden Fachvertretern geschrieben. Gleichzeitig wird Taubheit immer noch –irrigerweise – als Metapher für Stille oder unbekannte Phänome verwendet. Gehörlosengeschichte unter Einbeziehung gehörloser Perspektiven und vielfältiger Erfahrungen des Nicht- oder Andershörens ist ein noch relativ junges, interdisziplinäres Forschungsfeld. An ihm sind nicht nur WissenschaftlerInnen aus verschiedenen Zweigen der Geschichtswissenschaft, sondern auch aus den Medienwissenschaften, der Gebärdensprachforschung, den Disability und Diversity Studies oder der Sonderpädagogik beteiligt. Diese Interdisziplinarität hat Vor- und Nachteile: Zum einen macht es die Gehörlosengeschichte zu einem dynamischen Forschungsfeld, das vielfältige Impulse und Methoden integriert. Zum anderen arbeiten GehörlosenhistorikerInnen oft isoliert, es fehlt an Gelegenheiten zum fachlichen Austausch. Anders als im angloamerikanischen Raum hat sie in Deutschland noch keine institutionelle Heimat in Form von Lehrstühlen, Instituten, Fachvereinigungen oder regelmäßigen Fachtagungen. Ziel des Netzwerkes ist es, ein Forum zu schaffen, dass Wissenschaftler aus verschiedenen Bereichen zum regelmäßigen Austausch zusammenbringt, durch gemeinsame Veröffentlichungen die Sichtbarkeit von Gehörlosengeschichte erhöht und Impulse in andere Zweige der Geisteswissenschaften trägt. So sollen Forschungslücken und Kooperationsmöglichkeiten definiert und in Arbeitsgruppen und Folgeprojekten angegangen werden. Zu diesen Forschungslücken gehören insbesondere die historische Vielfalt gehörloser und schwerhöriger Identitäten, die Entwicklung von Gehörlosengemeinschaften und Gebärdensprachen in nationalen und internationalen Kontexten, der Vergleich mit anderen Minderheitengruppen, der Themenkomplex Medizin und Taubheit, sowie die Fürsorgegeschichte. Auch bei besser erforschten Aspekten, wie der Bildungsgeschichte oder der Rolle Gehörloser im Nationalsozialismus besteht Aufholbedarf. Als Teil der Medizin-, Sozial- oder Bildungsgeschichte, der Medien- und Sprachgeschichte wirft die Gehörlosengeschichte hier Fragen auf nach Ausgrenzung und Chancengleichheit, der Deutungshoheit von Wissenschaft versus der Rechte und Autonomie von Einzelnen und Minderheiten, und nach soziokulturell geprägten Definitionen von Behinderung und Normalität.
DFG-Verfahren Wissenschaftliche Netzwerke
Mitverantwortlich(e) Dr. Anja Werner
 
 

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