Die Umschrift der Weisheit: Übertragungen der Josef-Legende vom Alten Orient bis in die islamische Zeit
Islamwissenschaft, Arabistik, Semitistik
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Forschungsprojekt die Umschrift der Weisheit hat neue Wege einer vergleichenden, historisch-kontextualisierten Exegese von Bibel und Koran eingeschlagen. Zwei innovative Stoßrichtungen versprechen insbesondere zukünftige Koranforschung zu bereichern: Die Einbeziehung verschiedener hermeneutischer Zugänge, insbesondere eine sensible und kontextualisierte Einbeziehung der Kategorie Geschlecht so wie die Erweiterung des Methodenkanons auch in Richtung tiefenpsychologischer Fragestellungen. Die Einbeziehung von Geschlecht und Tiefenpsychologie in die Arbeit an den für die religiösen Gemeinschaften, Christen und Muslime, zentralen Texten ist eine notwendige Ergänzung zu den etablierten historisch-kritischen Methoden, die im Forschungsprojekt anhand der transkulturell verknüpften Josefsgeschichte aufgezeigt wurden. Zum einen legen Texte wie die Josefsgeschichte und ihre Rezeption eine Annäherung über diese zentralen menschlichen Fragestellungen selbst nahe. Indem die wissenschaftliche Erforschung von Bibel und Koran neben historischen Kontexten auch nach den implizit oder explizit verhandelten männlichen und weiblichen Rollenbildern fragt, geht sie nicht „nur neue Wege der Schriftauslegung“ (Oeming), sondern sie schließt auch an bereits etablierte, durch das dominante historischkritische Paradigma teilweise marginalisierte Wissensbestände und hermeneutische Orientierungen der alten Kirche und ihrer rabbinischen Nachbarn an und führt diese, mit Blick auf islamische Traditionsbestände, fort. Die Einbeziehung von tiefenpsychologischen Konzepten kann ferner den Anschluss zwischen den historischen Fächern der Exegese hin zur praktischen Theologie, insbesondere der Seelsorge erleichtern. Ein entscheidendes Ergebnis des Projekts liegt in dem in der Figur des Josef enthaltenen Potenzials für seelsorgliche Kontexte der Gegenwart, die in zukünftigen Projekten auf andere Traditionsbestände - insbesondere das Buch der Richter - ausgeweitet werden. Weitere Ausgriffe in die Moderne, die durch die Konferenz „Religiöse Traditionen, Traditionalismus und Moderne“ sowie durch die Weiterverfolgung der biblischen Erzählstoffe in primär literarischen und anderen populären Überlieferungskontexten wie den „Sieben Weisen Meistern“ im Projekt unternommen wurden, haben die Einschätzung erhärtet, dass eurozentrische Epochenklassifizierungen und statische Kategorien von Kulturräumen nicht hinreichen, um die gemeinsame Geschichte von Juden, Christen und Muslimen angemessen zu (be)schreiben. Mit der Problematisierung des insbesondere in der islamischen Theologie vielfach verwendeten Begriffs der Tradition hat das Projekt zu einer kritischen Selbstreflexion wissenschaftlicher Sprache und fachspezifischer Konventionen beigetragen. Diese Perspektive wurde im Projekt vor allem mit Blick auf den titelgebenden Begriff der Weisheit erarbeitet. Der auf einer interdisziplinär und interreligiös konzipierten Tagung beruhende Sammelband Hermeneutiken der Weisheit stellt Vielfalt und Wandel verschiedener Deutungen und Funktionen von Weisheit von den Schriften des Alten Testaments über hellenistische und spätantike Neuverhandlungen mit islamischen Reflexionen auf Weisheit zusammen. Der Sammelband soll durch die bewusst gleichwertig gestellte Kombination biblischer, spätantiker und islamischer Beiträge dazu beitragen, die durch Fächergrenzen etablierten Hürden abzubauen und historische Kontinuitäten zwischen den verschiedenen Textbeständen zu plausibilisieren. Da Weisheit ein im spätantiken Herkunftsmilieu des Koran überaus prominent vertretenes, aber in der Koranforschung bisher kaum behandeltes Thema ist, verspricht insbesondere dieser Band die interreligiöse Erforschung von Bibel und Koran zu bereichern.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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„Ich kann nicht gleichgültig sein. Ein Gespräch mit Daniel Boyarin / I cannot be indifferent. A conversation with Daniel Boyarin”, in: Stefan Maneval (Hg.), Der Glaube fährt mit der Straßenbahn / Faith Travels by Streetcar, Berlin: Falschrum, S. 152-169.
Nora Schmidt
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Josef -Wandlung der Bilder. Bilder der Wandlung. Vandenhoeck & Ruprecht.
Schmidt, Nora
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„Eine biblische Geschichte von Krieg und mörderischen Frauen. Ein tiefenpsychologischer Deutungsversuch von Ri 4-5“, in: Jahresheft der theologischen Fakultät der Universität Heidelberg 17 (2022-23), S. 54-74.
Nora Schmidt
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Die ‚Sieben weisen Meister‘ als globale Erzähltradition / The ‚Seven Sages of Rome‘ as a Global Narrative Tradition, Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 2023/1, Heidelberg University Publishing (2023: auch open access).
Nora Schmidt; Bettina Bildhauer & Jutta Eming
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„Coming of (S)age. Religious Knowledge, Wisdom, and Gender in the Hebrew Tradition ‘Mishle Sendebar’“, in: The ‘Seven Sages of Rome’, S. 84-100.
Nora Schmidt
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„Das Lachen des Propheten ist schön wie der Mond‘‘: Überlegungen zu einer islamischen Hermeneutik des prophetischen Körpers. Das Heilige und das Lachen, 143-160. Evangelische Verlagsanstalt.
Schmidt, Nora
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Hermeneutik(en) der Weisheit von der hebräischen Bibel bis in die islamische Zeit. Mohr Siebeck.
Nora Schmidt & Manfred Oeming (Hgg.)
