Detailseite
Projekt Druckansicht

Der Duft der Anderen. Eine olfaktorische Geschichte der deutschen Teilung (1961-1999)

Antragsteller Dr. Bodo Mrozek
Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung seit 2020
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 446388013
 
Das Forschungsprojekt strebt deine Geruchsgeschichte der deutschen Teilung aus Perspektive der historiographischen sensory studies an. Sinnesgeschichtlich betrachtet lässt sich die politische Teilung als ein Prozess verstehen, der tief in die Chemie der Umwelt und sogar in die Biologie der Menschen eingriff. Entgegen der These von der entsinnlichenden Kraft der Moderne (Elias u.a.) und der Desodorierung der Welt seit dem 18. Jahrhundert (Corbin) werden Gerüche dabei als ein zentrales Gebiet verstanden, auf dem auch noch im 20. Jahrhundert Differenz hergestellt und sensorisch erfahren wurde. Zentrale Untersuchungsgebiete sind Geruchs- und Abgaskonflikte, Luftreinhaltungs- und Umweltdebatten, Innenraumgerüche bzw. Feinstaub- und Asbestproblematiken, Veränderungen in Hygiene und Kosmetik, Politisierungen von Produkten der Duftstoffindustrie sowie Maßnahmen des olfactory warfare, des militärischen und polizeilichen Einsatzes von Feinstoffen. Zum einen untersucht das Projekt anhand zeitgenössischer Dokumente, wie unterschiedliche smell-scapes entstanden, also welche Teilchen in der Luft in Stadt-, Industrie- und Agrarlandschaften raumbildend wirkten und wie diese Räume diskursiv verhandelt wurden. Zum anderen wird der Frage nachgegangen, inwieweit sich die Sensibilitäten der Menschen selbst veränderten – im Verhältnis zu Pollution, Kosmetika, Waschmitteln oder Lebensmitteln, womit eine körpergeschichtliche Perspektive auf die politische Teilung eingenommen wird. Dies wird anhand von unterschiedlichen Geruchstaxonomien in Egodokumenten der Zeitgenossen sowie mit Hilfe umweltmedizinischer Ost-West-Vergleiche über Sensibilisierungen für Allergene untersucht. Narrative Interviews mit blinden Zeitzeugen machen deren überlegene Wahrnehmung auf dem Gebiet der Gerüche der Geschichtsschreibung zugänglich. Der Untersuchungszeitraum umfasst die Phasen der räumlichen Teilung, des Kalten Krieges, der osmotischen Angleichung sowie der Erinnerungskultur, in der Gerüche ebenfalls eine wesentliche Rolle spielen (etwa in „Ostalgie“ und „Westalgie“). Das Projekt verfolgt zwei Hauptziele: Zum einen sollen Erkenntnisse sowohl über die Tiefe der Teilung als auch über ihre Dauer bzw. Periodisierung gewonnen werden (olfaktorisch bestehen beide Teilstaaten lange über den Einigungsvertrag hinaus fort). Zum anderen soll anhand des Geruchssinnes die zeitlich spezifische und politisch-kulturelle Bedingtheit eines „Nahsinnes“ (im Unterschied zu den „Fernsinnen“ Hören und Sehen) zwischen Biologie und Kognition exemplarisch erforscht werden. Diese originäre Perspektive einer Wahrnehmungsgeschichte von Abgrenzung und Verflechtung erlaubt erstmals Erkenntnisse über die Auswirkungen der politischen Teilung in ihrer Tiefenwirkung auf den Menschen in seinen Umwelten. Damit versteht sich das Projekt als Beitrag zu einer Zeitgeschichte der Sinne im 20. Jahrhundert. Die Ergebnisse werden in einer Monographie und in Forschungsartikeln präsentiert.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung