Dualitäten für Verzweigungs-Koaleszenzprozesse in der Populationsgenetik
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In der mathematischen Populationsgenetik spielen stochastische Prozesse eine wichtige Rolle um den Einfluss evolutionärer Kräfte auf eine Population auf fundamentaler Ebene zu verstehen. Dabei gibt es zwei dominierende Ansätze. Zum einen werden Veränderungen von Allelhäufigkeiten vorwärts in der Zeit untersucht. Eine passende Klasse stochastischer Prozesse dafür sind sogenannte Wright-Fisher-Prozesse. Zum anderen enthalten Prozesse, die sich rückwärts in der Zeit entwickeln, wichtige Informationen über die Evolution. Diese Rück wärtsprozesse ergeben sich oft, aber nicht ausschließlich, aus genealogischen Überlegungen und haben daher enge Ver bind ungen zu Verzweigungs-Koaleszenz-Prozessen. Eines der Ergebnisse des Projekts ist eine umfangreiche Analyse der möglichen Langzeitverhalten von relativ allgemeinen Wright-Fisher-Prozessen. Das wiederum führt zu einem besseren Verständnis der möglichen Langzeiteffekte von Evolution. Für Wright-Fisher Modelle mit zwei Alleltypen, und unter Berücksichtigung von Gendrift und Selektion, wurden vier qualitativ unterschiedliche Verhaltensweisen und die entsprechenden Parameterregionen identifiziert. In einem dieser Fälle bleibt genetische Vielfalt mit Sicherheit erhalten. Für die anderen drei Fälle, in denen Allele aussterben können, konnten Schranken für die Verlustrate der Allele hergeleitet werden. In Modellen, die ausschließlich Gendrift beinhalten, aber dabei endlich viele Alleltypen berücksichtigen, wurden im Rahmen dieses Projekts explizite Ausdrücke für die erwarteten Aussterbezeitpunkte hergeleitet. Dadurch wurden frühere Ergebnisse auf eine breite Klasse von WrightFisher-Prozessen verallgemeinert. Letztendlich ermöglicht dies präzisere Vorhersagen über den Aussterbezeitpunkt eines Allels. Rückwärtsprozesse spielen eine Schlüsselrolle bei der Herleitung dieser Ergebnisse. Sie stehen in Verbindung mit dem entsprechenden Vorwärtsprozess durch eine sogenannte Siegmunddualität bzw. Momentendualität. Diese Arbeiten zeigen beispielhaft, wie solche Dualitäten genutzt werden können, um Vorwärtsprozesse zu analysieren. Es gibt biologische Systeme, in denen Wright-Fisher-Prozesse kein geeignetes Modell darstellen, zum Beispiel wenn die Populationsgröße einen Einfluss auf das Wirken evolutionärer Kräfte hat. Die Evolution der Bindungsaffinität von Antikörpern innerhalb des Immunsystems ist ein solches System, das eine neue Modellierung erfordert. In diesem Projekt wurde in Zusammenarbeit mit Bioinformatikern ein neues Mean-Field-Verzweigungsprozessmodell entwickelt, um diese Situation zu analysieren. Neben den direkten populationsgenetischen Anwendungen wurde auch an einem allgemeinen Problem in der Theorie der Brownschen Bewegungen gearbeitet. Dabei wurde eine explizite Konstruktion für die Kopplung von Brownschen Bewegungen mit unterschiedlichen Driften beschrieben, die die Zeit maximiert, für die die Prozesse anfänglich übereinstimmen. Auch hier spielte ein Rückwärtsprozess eine wichtige Rolle.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Absorption and stationary times for the Λ-Wright-Fisher process. arXiv e-prints
A. Blancas; A. Gonzalez Casanova; S. Hummel & S. Palau
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Lines of descent in a Moran model with frequency-dependent selection and mutation. Stochastic Processes and their Applications, 160, 409-457.
Baake, E.; Esercito, L. & Hummel, S.
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Constructing maximal germ couplings of Brownian motions with drift. Electronic Communications in Probability, 29(none).
Hummel, Sebastian & Quinn, Jaffe Adam
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Mean-field interacting multi-type birth–death processes with a view to applications in phylodynamics. Theoretical Population Biology, 159, 1-12.
DeWitt, William S.; Evans, Steven N.; Hiesmayr, Ella & Hummel, Sebastian
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Λ-Wright–Fisher processes with general selection and opposing environmental effects: Fixation and coexistence. The Annals of Applied Probability, 35(1).
Cordero, Fernando; Hummel, Sebastian & Véchambre, Grégoire
