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Selbermachen. Eine andere Geschichte des Konsumzeitalters

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2020 bis 2021
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 450068392
 
Fast alle Menschen in modernen Konsumgesellschaften sind ProsumentInnen, ohne viel darüber nachzudenken. Sie kaufen Backzutaten, Bohrmaschinen und Haartönungen und machen daraus Kuchen, Möbel, und Frisuren. Sie konsumieren und verarbeiten das Gekaufte weiter, produzieren also. Die Grauzone zwischen Konsum und Produktionin Privathaushalten bildet eine unsichtbare Ökonomie, die zusammen mit der modernen Konsumgesellschaft entstand, als wachsende Teile der Bevölkerung zunehmend zwischen Selbermachen, Kauf und vielen Zwischenschritten wählen konnten. Trotz seiner enormen Bedeutung ist das Zusammenspiel von Produktion und Konsum im Privathaushalt bisher kaum erforscht.Kaufen, Selbermachen und die vielen Optionen dazwischen waren keine reine Privatsache. Entscheidungen über Versorgungsstrategien transportieren Vorstellungen über Identitäten sowie über den Einsatz von Ressourcen wie Zeit, Geld und Materialien. Wie Haushalte sich hier entschieden, lag auch im Interesse von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Die Studie umfasst das Jahrhundert von den 1880er zu den 1980er Jahren und untersucht erstens Ansätze, in häusliche Versorgungsstrategien zwischen Selbermachen und Kaufen lenkend einzugreifen. Das beinhaltet die Einführung praktischer Schulfächer ebenso wie das Ideal der guten Hausfrau, Schlachtverbote während der Weltkriege und staatlich gefördertes Heimwerken in der DDR, und nicht zuletzt die Absatzinteressen ganzer Industrien vom Heimwerken bis zu Backzutaten. Zweitens geht es um die Praktiken des Selbermachens: Was machten Haushalte selbst, wie und warum? Wie waren Aufgaben zwischen den Geschlechtern, Schichten und Generationen verteilt? Welche Rolle spielten Sparsamkeit, Vergnügen und Qualitätsbewusstsein? Was galt als Arbeit, was als Freizeit?Die Habilitationsschrift hinterfragt die wirkmächtigen Dichotomien von Produktion und Konsum, Arbeit und Freizeit, die alle Tätigkeiten systematisch ausblenden, die nicht eindeutig zugeordnet werden können. Als erste Untersuchung des bisher unerforschten Diskurs- und Praxiszusammenhangs der Haushaltsproduktion zeigt sie die Entwicklung eines veränderlichen und abgestuften Repertoires an Praktiken und Produkten, das vielfältige Handlungsoptionen zwischen Selbermachen und Kaufen ermöglichte und darüber soziale und wirtschaftliche Ordnungen herstellte. Die Studie bietet damit eine neue Deutung der Industriemoderne. Praktiken des Selbermachens werden als zentrales Regulativ moderner Gesellschaften interpretiert, als Schmiermittel beim Austarieren von Produktion, Konsum, Arbeit und Freizeit entlang der Kategorien von Geschlecht, Schicht und Generation. Die Studie zeigt Praktiken des Selbermachens als riesigen Markt und als moral economy, in der Versorgungsfragen an Vorstellungen über richtiges und falsches Wirtschaften, Identitäten und Rollenbilder gekoppelt waren, kurz: wie sehr gesellschaftliche und wirtschaftliche Ordnung von der Frage „Selbermachen oder Kaufen?“ geprägt sind.
DFG-Verfahren Publikationsbeihilfen
 
 

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