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Geschäfte für alles und jeden? Pacotillenwirtschaft im Ancien Régime

Antragstellerin Dr. Annika Raapke
Fachliche Zuordnung Frühneuzeitliche Geschichte
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2020 bis 2023
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 452330448
 
Erstellungsjahr 2023

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Der europäische Kolonialhandel des 18. Jahrhunderts wird, sowohl in der Geschichtswissenschaft als auch in der Populär- und Erinnerungskultur, zumeist im Zusammenhang mit großen Handelshäusern und Kompanien gedacht. Professionelle Kaufleute etablierten Handelsrouten und -routinen, wie etwa den berüchtigten „Dreieckshandel“; belieferten Europa mit Kolonialwaren und Kolonien mit versklavten Menschen und europäischen Gütern. Dieses Bild ist zwar nicht falsch – aber unvollständig und verzerrt. Denn quer zum organisierten Handel der großen europäischen Kompanien und Handelshäuser blühten deutlich kleinere und chaotischere, aber erfolgreiche Handelspraktiken in den Kolonien. In Läden, an Marktständen, in Straßen und auf Schiffen – überall fanden Menschen, die keine professionellen Kaufleute waren, profitable, oft kreative Wege, sich am Kolonialhandel zu beteiligen. Dieses Projekt argumentiert, dass man nur verstehen kann, wie jene koloniale Handelswelten funktionierten, wenn man diesen alltäglichen Kleinhandel konsequent mit in die Forschung einbezieht. Es widmet sich einer spezifischen Kleinhandelspraxis in den französischen Kolonien in der Zeit vor 1789 (dem sog. Ancien Régime), die besonders beliebt war: Der Pacotille. Pacotillehandel konnte unterschiedlich aussehen, war aber oft eine Form niedrigschwelligen Kommissionshandels, die sehr flexibel war. So gut wie alle im 18. Jahrhundert denkbaren und verkäuflichen Waren konnten über Pacotillen gehandelt werden; in größerem, aber auch in winzig kleinem Umfang. Europäer*innen aller Gesellschaftsschichten schickten auf diese Weise attraktive Güter in die Kolonien, um sie dort gewinnbringend von einer anderen Person abverkaufen zu lassen, die dann am Profit beteiligt wurde. Dieses Projekt hat untersucht, welche Menschen im Pacotillehandel aktiv waren, samt ihren Waren, Wirtschaftssituationen und Handelspraktiken. Hierbei zeigte sich, dass Pacotillehandel insbesondere in Frankreichs mittelamerikanischen Kolonien, zu einem zentralen alltäglichen Wirtschaftszweig wurde, an dem sich reiche und arme, freie und versklavte Menschen gleichermaßen beteiligten, und insbesondere auch diejenigen, denen die koloniale Gesetzgebung oft nicht ermöglichte, anderen Handel zu treiben, z.B. freie Frauen of Colour. Das Projekt hat dazu beigetragen, nachzuweisen, inwiefern koloniale Märkte mit ihren globalen Warenflüssen und enormen Import-und Export-Wirtschaft im Alltag eigentlich von den Handels- und Importaktivitäten jener Leute geprägt waren, die keine offiziellen Kaufleute waren und deren Geschäfte oft privat organisiert wurden. In diesem Zusammenhang konnte es zudem aufzeigen, wie sehr koloniales Wirtschaftsleben im 18. Jahrhundert von Menschen abhing, die in der Geschichtswissenschaft nur selten als wichtige ökonomische Akteure auftreten. Diese Erkenntnisse sind nicht nur für die Geschichtswissenschaft wichtig, sondern auch notwendig für ein diverseres Bild der europäischen Kolonialvergangenheit in der Gesellschaft.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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