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Juridische Soziologien. Recht und Gesellschaft von 1814 bis in die 1920er Jahre

Fachliche Zuordnung Soziologische Theorie
Grundlagen des Rechts und der Rechtswissenschaft
Förderung Förderung in 2021
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 455634645
 
Warum spielte für die entstehende Soziologie die Auseinandersetzung mit dem Recht eine zentrale Rolle? Und warum ist dies heute nicht mehr der Fall? Die vorliegende Arbeit erklärt diese Transformation des soziologischen Interesses am Recht anhand einer genealogischen Untersuchung der gegenseitigen Bezugnahmen von Privatrechtswissenschaft und Soziologie ausgehend vom beginnenden 19. Jhr.Zu diesem Zeitpunkt wurden gerade in den Privatrechtswissenschaften durch die Historische Rechtsschule Problematisierungsweisen des Verhältnisses von Recht und Gesellschaft entwickelt, die nicht nur die Rechtstheorie, sondern ebenso die Rechtsdogmatik wie -methodik betreffen. Ausgehend hiervon lassen sich über eine Dispositivanalyse der juristischen Diskurse drei solcher Problematisierungsweisen herausarbeiten: das Repräsentationsdispositiv in den Debatten um die Historische Rechtsschule, in der das Recht über die Frage der adäquaten Repräsentation der gesellschaftlichen Wirklichkeit problematisiert wird; das „funktionale Zweckdispositiv“ im Streit über soziale Aufgabe des BGBs, in dem es um die Ordnungsfunktion des Rechts gegenüber der Gesellschaft geht; sowie schließlich das „normative Zweckdispositive“ im Methodenstreit Anfang des 20. Jahrhunderts, in dem die Frage, wie die nicht vermeidbare normative Wertung im richterlichen Urteil wissenschaftlich fundiert werden kann, zur Scheidung der Rechtswissenschaft gegenüber insbesondere der Soziologie über die Differenz von Sollen und Sein führt.Diese drei Problematisierungsweisen finden Eingang in die entstehende Soziologie, wie paradigmatisch an den Soziologieentwürfen von Émile Durkheim, Max Weber und Ferdinand Tönnies gezeigt wird. Dabei rücken diese drei Autoren für den Entwurf ihrer Art der Soziologie jeweils eine Möglichkeit der Verhältnisbestimmung von Recht und Gesellschaft in den Vordergrund: Durkheim erkennt im Recht – analog dem Repräsentationsdispositiv – das Kollektivbewusstsein; für Tönnies gilt es, angesichts der „sozialen Frage“ über die Soziologie eine neue Rechtsphilosophie zu entwerfen, daher nimmt er die Ordnungsfunktion des Rechts in den Blick; Weber lässt sich dem normativen Zweckdispositiv zuordnen, ring er doch in all seinen Schriften aus der sogenannten Wissenschaftslehre um das erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Verhältnis zur Rechtswissenschaft.Aus dieser Nähe zum Recht – den ‚juridischen Soziologien‘ von Durkheim, Tönnies und Weber – resultiert in der Gründungsphase der Soziologie zugleich die Notwendigkeit der Abgrenzung zu den Rechtswissenschaften. Dabei nehmen die drei Autoren in ihren Anschlüssen Verschiebungen gegenüber dem rechtswissenschaftlichen Diskurs vor, die letztlich zum Verlust des Rechts für die Soziologie führen. In der historischen Untersuchung wird hierbei jener Punkt in den Problematisierungen des Verhältnisses von Recht und Gesellschaft identifiziert, an dem man eine Abzweigung nehmen kann, um das Recht für die Soziologie heute wieder adressierbar zu machen.
DFG-Verfahren Publikationsbeihilfen
 
 

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