Untersuchungen zum Einfluss nichtkovalenter Wechselwirkungen auf Tunnelphänomene per Schwingungsspektroskopie an kryogenen Ionen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Der quantenmechanische Tunneleffekt bietet einen alternativen Weg zum klassischen thermischen Reaktionspfad, indem er das Durchdringen der energetischen Barriere zwischen Reaktant(en) und Produkt(en) ermöglicht. Er wirkt sich auf alle Reaktionen aus (wenn auch in sehr unterschiedlichem Maße), sodass es von größter Bedeutung ist, seine Grundprinzipien zu verstehen, um die Selektivität und Kinetik von Reaktionen unter verschiedenen Bedingungen genauer vorhersagen zu können. Zu diesem Zweck wurden Tunnelphänomene, an denen sowohl leichte Wasserstoffatome als auch schwerere Atome wie Kohlenstoff beteiligt sind, in neutralen Molekülen eingehend untersucht; Tunnelreaktionen, an denen ionische Spezies beteiligt sind, wurden jedoch nur selten erforscht. Dieses Projekt adressiert diese Lücke im Grundlagenwissen über die Auswirkungen des quantenmechanischen Tunnelns auf die Reaktivität ionischer Spezies mittels Schwingungsspektroskopie an kryogenen Ionen. Das prototypische Phenylanion (Phenids) wurde als Modellsystem für die Untersuchung des potenziellen Beitrags des intramolekularen Wasserstofftunnelns zur Reaktivität einer ionischen Spezies gewählt. Diese Wahl spiegelt sowohl die Bedeutung des Phenids als ein in der organischen Synthese häufig verwendetes Synthon (z. B. in Form von Phenyllithium) als auch die aus früheren massenspektrometrischen Studien abgeleitete Neigung von substituierten Pheniden zu Wasserstoffverschiebungen wider. Darüber hinaus sind Phenide durch die Gasphasen-Decarboxylierung von Benzoaten per kollisionsinduzierter Dissoziation leicht zugänglich. Um die (ansonsten entartete) zirkumambulante Ladungswanderung (circumambulatory charge migration) in Pheniden mittels Infrarotspektroskopie nachzuweisen wurde ein Positionsmarker in Form eines Benzoylsubstituenten verwendet. Auf diese Weise konnten die verschiedenen Isomere, die aus der Ladungswanderung (d. h. Wasserstoffverschiebungen) resultieren, anhand ihrer einzigartigen Schwingungsspektren eindeutig identifiziert werden. Es wurde festgestellt, dass sich die untersuchten Phenide 5 und 6 bei kryogenen Temperaturen nicht umlagern und die Ladung an dem Kohlenstoffatom beibehalten, das vor der Decarboxylierung die Carboxylatgruppe trug. Die Decarboxylierung bei Raumtemperatur führt jedoch zu einer Mischung aus diesem ursprünglichen Isomer und einem Isomer, bei dem die Ladung in eine Position gewandert ist, in der sie am stärksten stabilisiert ist, d. h. ortho zum Benzoylsubstituenten. Dieses o-Benzoylphenid 4 scheint jedoch nur metastabil zu sein, da es einen rapiden intramolekularen nukleophilen Angriff auf die anhängende Phenylgruppe durchläuft, wodurch 7 gebildet wird. Quantenchemische Berechnungen deuten darauf hin, dass die zirkuläre Ladungswanderung über aufeinanderfolgende 1,2-H-Verschiebungen durch erhebliche Aktivierungsbarrieren von ~ 65 kcal mol-1 erfolgt, während der anschließende Ringschluss nur ~ 11 kcal mol-1 erfordert. Die geringe Masse des wandernden Wasserstoffatoms und die geringen Entfernungen, über die es während dieser Umlagerungen verschoben wird, lassen auf einen möglichen Beitrag des quantenmechanischen Tunnelns schließen. Kontrollexperimente mit perdeuteriertem 4BBA (d9-3) erbrachten erste Hinweise auf einen großen kinetischen Isotopeneffekt, der für Tunnelreaktionen kennzeichnend ist, aber möglicherweise durch die Massenselektivität der Experimente, die den H/D-Austausch dieses Substrats maskieren, verzerrt wird. Letzteres könnte auf eine Protonenverschiebung über das Phenidgerüst, z. B. über H2O, hindeuten und erfordert weitere Experimente in der Zukunft.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Structures and Chemical Rearrangements of Benzoate Derivatives Following Gas Phase Decarboxylation. Journal of the American Society for Mass Spectrometry, 33(10), 1914-1920.
Perez, Evan H.; Schleif, Tim; Messinger, Joseph P.; Rullán, Buxó Anna G.; Moss, Olivia C.; Greis, Kim & Johnson, Mark A.
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”Hydrogen tunneling in the 1,2-H shifts of phenyl anions in gas phase” at Quantum Atomic and Molecular Tunneling Systems (QAMTS), 15.-20.5.2022, Canmore, Canada
Tim Schleif
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Characterization of Oxidation Products from HOCl Uptake by Microhydrated Methionine Anions Using Cryogenic Ion Vibrational Spectroscopy. The Journal of Physical Chemistry A, 127(19), 4269-4276.
Stropoli, Santino J.; Greis, Kim; Schleif, Tim & Johnson, Mark A.
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Isomer-Specific Heavy-Atom Tunneling in the Ring Expansion of Fluorenylazirines. The Journal of Organic Chemistry, 88(13), 7893-7900.
Rowen, Julien F.; Beyer, Frederike; Schleif, Tim & Sander, Wolfram
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“Characterization of ionic products from ESI droplets using cryogenic ion chemistry and spectroscopy”, AFOSR MURI workshop on Mechanistic Studies of Microdroplet Chemistry, 26.-28.1.2023, San Diego, USA
Tim Schleif
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“Heavy-Atom Tunneling - Impact on Reactivity of Organic Molecules and Solvation Control of Tunneling Reactions” at Gordon Research Seminar and Conference, 24.06.2023 – 30.06.2023, Holderness, USA
Tim Schleif
