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„Jüdische Delinquenz“ im mittelalterlichen Aschkenas. Normen, Praktiken und Zuschreibungen im interreligiösen Spannungsfeld
Antragsteller
Dr. Jörg Müller
Fachliche Zuordnung
Mittelalterliche Geschichte
Förderung
Förderung seit 2021
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 464126352
Im Rahmen des Projekts werden die aktive Involvierung von Juden in kriminelle Handlungen wie auch die Unterstellung derartiger Aktivitäten im mittelalterlichen deutschen Reich erstmals systematisch untersucht. Dabei werden unter dem Begriff „Delinquenz“ sämtliche Verhaltensweisen verstanden, die von den Zeitgenossen als strafrechtlich ahndungswürdige Vergehen betrachtet und als solche entweder gerichtlich verfolgt oder außergerichtlich bzw. schiedsgerichtlich beigelegt wurden. Bei dem Phänomen handelt es sich um ein soziales Konstrukt aus der wechselweisen Interaktion von Alltagswirklichkeit und Rechtssystem. Eine derartige Zuschreibung bedarf nicht zuletzt als Produkt von Aushandlungsprozessen jeweils einer Überprüfung im konkreten Kontext. Die Fokussierung der Untersuchung auf jüdische Delinquenten und somit einer gewissermaßen zweifach als deviant markierten Gruppe verspricht grundlegend neue Erkenntnisse zur gesellschaftlichen Konstruktion von Delinquenz und zur Rolle „jüdischer Kriminalität“ als zentralem Indikator für Wandlungsprozesse sowohl in der christlichen als auch in der jüdischen Gesellschaft. Um die Ergebnisse einordnen zu können, werden Delikte innerhalb der christlichen Gesellschaft sowie Übergriffe nichtjüdischer Akteure auf Juden vergleichend berücksichtigt.Grundlage für die Untersuchung bildet die gesamte Bandbreite schriftlicher Überlieferung der christlichen Mehrheitsgesellschaft von normativen Quellen über spezifische Formen gerichtlicher Aufzeichnungen und die weitere überwiegend städtische Überlieferung bis hin zu historiographischen Darstellungen. Bereits vorliegende Quelleneditionen und eigene Vorarbeiten ermöglichen für die ohnehin quellenärmere Zeit bis ins späte 14. Jahrhundert eine – soweit die Überlieferung dies zulässt – ausgewogene Bearbeitung in der Fläche. Dem deutlichen Anstieg administrativer und zudem kaum edierter Schriftlichkeit im späten Mittelalter ist dann die weitgehende Fokussierung der Untersuchung auf die drei aussagekräftigen Fallbeispiele Frankfurt a. M., Nürnberg und Regensburg für das 15. und frühe 16. Jahrhundert geschuldet.Die Quellen werden im Hinblick auf die zugrundeliegenden rechtlichen Normen, deren Wandlungen und konkrete Anwendung ebenso ausgewertet wie in Bezug auf die verschiedenen beteiligten Akteure und Gerichte sowie Art und Häufigkeit diverser Deliktformen (Gewalt-, Eigentums- und Sittenvergehen bis hin zu Ordnungs- und Verbaldelikte etc.). Zentral für die Studie ist die Aufarbeitung der Rolle von Juden verübter oder vermeintlich begangener realer und imaginärer Vergehen als Katalysator für die Marginalisierung der jüdischen Minderheit. In diesem Kontext ist insbesondere die Bedeutung von Armut und Ausgrenzung als kriminogene Faktoren zu berücksichtigen. Abschließend soll eine Einschätzung möglich sein, inwiefern sich „jüdische Delinquenz“ auf die Lebenswirklichkeit jüdischer Gemeinden und die christlich-jüdischen Beziehungen vor Ort auswirkte.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen