Detailseite
Bedürfnisse erkennen - Peer Berater_innen und die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes für Menschen mit psychiatrischen Behinderungen in Berlin
Antragsteller
Professor Dr. Jörg Niewöhner
Fachliche Zuordnung
Ethnologie und Europäische Ethnologie
Förderung
Förderung seit 2021
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 464349535
Dieses Projekt untersucht die Beziehung zwischen dem neu eingeführten Bundesteilhabegesetz (BTHG) und den Bedürfnissen der Nutzer_innen psychiatrischer Behindertendienste und ihrer Familien. Die Umsetzung des BTHG 2018 hat psychiatrische Behinderungen im Hinblick auf organisatorische, politische und wirtschaftliche Rechte physiologischen Behinderungen gleichgestellt. Diese Rekategorisierung soll die politischen wie alltäglichen Handlungsmöglichkeiten erweitern und den Zugang zu Unterstützung durch staatliche Programme erleichtern. Gleichzeitig hat diese Verschiebung nicht berücksichtigt, dass sich psychiatrische Behinderungen in der Tat erheblich von Erfahrungen wie Blindheit, Taubheit oder dem Verlust von Gliedmaßen unterscheiden. Um bei der Implementierung des neuen Gesetzes zu helfen, sind umfassende Maßnahmen entwickelt worden: Konferenzen, Arbeitsgruppen und eine umfassende Website bieten lokaler Verwaltung wie Dienstleistungsanbietern wichtige Informationen. Als Teil dieser größeren Infrastruktur haben sich Peer-Berater_innen - Personen mit gelebter Erfahrung als Patient_innen im psychiatrischen Versorgungssystem – zu Peer-Vereinigungen zusammengeschlossen, um Beratungs- und Unterstützungsdienste anzubieten, die psychiatrischen Patient_innen bei der Umsetzung des neuen Gesetzes helfen sollen. Das hier vorgeschlagene Projekt beginnt seine ethnografische Feldforschung bei einer solchen Peer-Vereinigung, in der alltägliche Dienste für psychiatrische Patient_innen und ihre Familienangehörigen angeboten werden, und die gleichzeitig versucht, die Konsequenzen und Möglichkeiten des neuen Bundesteilhabegesetzes zu verstehen. Allerdings stellen die Peer-Berater_innen fest, dass Familien und Patient_innen sie mit Fragen konfrontieren, die weit über das Behindertenrecht hinausgehen, und dass sie immer wieder Bedürfnisse artikulieren, die in den Dimensionen des Behindertenrechts nicht erfasst werden. Die Arbeit der Vereinigung macht deutlich, dass und wie die spezifischen Bedürfnisse dieser besonderen Bevölkerungsgruppe weder im neuen Gesetz noch im Verständnis der politischen Entscheidungsträger vollständig erfasst werden. Gleichzeitig spaltet der zentrale Grundsatz des BTHG die breitere Peer-Community in Berlin. Einige Gruppen sehen in der Ausweitung der Handlungsmöglichkeiten eine notwendige und überfällige Ermächtigung, andere sind der Meinung, dass Menschen mit psychiatrischen Behinderungen in ihren verwundbarsten Momenten nicht die gleichen fundierten Entscheidungen treffen können wie Menschen mit anderen Behinderungen. Das Projekt wird sich entlang des Netzwerks von Peer-Vereinigungen in Berlin entwickeln und analysieren, wie diese nebeneinander, in Zusammenarbeit oder möglicherweise auch gegeneinander agieren. Das Ziel ist ein ethnografisch dichtes Verständnis der im Alltäglichen ausgehandelten Perspektiven auf Teilhabe (‚citizenship‘), Handlungsmöglichkeiten (‚agency‘) und Fürsorge (‚care‘).
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen
Mitverantwortlich
Professor Dr. Sebastian von Peter