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‚Entscheiden‘ zwischen Kontingenz und Providenz. Handlungs- und Deutungshorizonte des Ersten Kreuzzugs

Antragsteller Professor Dr. Jan Keupp
Fachliche Zuordnung Mittelalterliche Geschichte
Förderung Förderung seit 2021
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 465662081
 
Es entspricht einem gängigen Selbstnarrativ unserer Gegenwart, der multioptionalen ‚Kontingenzkultur‘ der Moderne das Modell eines ‚geschlossenen‘, von göttlicher Providenz und eschatologischer Finalität präfigurierten ‚Erwartungsraums‘ des Mittelalters gegenüberzustellen. Jenseits solch schematisch vereinfachender Großdeutungen markiert die epochale Differenz in der sozialen Bearbeitung von Kontingenz ein lohnendes Untersuchungsfeld für die historische Dimension des Phänomens ‚Entscheiden‘. Das Vorhaben fokussiert hierbei auf den Zeitabschnitt des Ersten Kreuzzugs und die ersten Jahrzehnte lateinisch-christlicher Herrschaft in Syrien und Palästina. Es nimmt somit exemplarisch Geschehnisse in den Blick, die auf der einen Seite von krisenhafter Kontingenz gekennzeichnet waren, andererseits aber von den Beteiligten wie späteren Berichterstattern unter dem Vorzeichen göttlich gelenkter Vorsehung gedeutet werden konnten. Diese Ereigniskonstellation lässt sich in doppelter Hinsicht als Laboratorium für neuartige Modi und Modelle des Entscheidens fassen: Innerhalb des sozial und herrschaftlich heterogen zusammengesetzten Kollektivs des Kreuzfahrerheers musste Entscheidensmacht in einem komplexen sozialen Aushandlungsprozess erst konstruiert und konstituiert werden. Nach der erfolgreichen Einnahme Jerusalems wurde das Entscheiden der Kreuzfahrer durch die historiographische Verarbeitung des Geschehens unter dem Aspekt einer providentiellen Geschichtsdeutung zu einem kohärenten Gesamtbild remodelliert. Dabei entstanden unterschiedliche, durch divergierende politische Positionen, Gattungstraditionen und theologische Deutungskonzepte bestimmte Entscheidensnarrative. Auf ihrer Grundlage lassen sich zwei komplementäre Analyseperspektiven entfalten. Gefragt wird (1.) nach Praktiken und Bedingungen, durch die Entscheidungsmacht innerhalb des sozialen Gefüges der Kreuzzugsteilnehmer hergestellt und zugewiesen wurde. In den Mittelpunkt ausgewählter Fallstudien treten jene Handlungselemente, soziale Mechanismen und Institutionen, die die Beteiligten dazu ermächtigten, eine Situation entscheidensförmig zu modellieren. Diese Akteursperspektive lässt sich (2.) fruchtbar durch eine Deutungsperspektive ex post ergänzen, welche die disambiguierende (Re-)Konzeptionalisierung des Geschehens in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung beleuchtet. Mit ihr richtet sich der Blick auf die theologisch begründungsfähigen und narrativ darstellbaren Möglichkeitsräume menschlichen Entscheidens innerhalb des Ordnungsrahmens göttlicher Heilsplanung. In der Zusammenschau beider Perspektiven lässt sich der Stellenwert des Entscheidens als distinkte Handlungsform in spezifisch vormodernen ‚Kontingenzkulturen‘ exemplarisch fassen und einer hinreichend differenzierten und empirisch gesättigten Betrachtung zuführen. Der Fokus auf Voraussetzungen, Praktiken und Reflexionen von Entscheiden vermag zudem dazu beizutragen, das Profil des Kreuzzugs als soziales Vollzugsgeschehen zu schärfen.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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