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GRK 2845:  Family Matters. Figuren der (Ent-)Bindung

Fachliche Zuordnung Literaturwissenschaft
Förderung Förderung seit 2023
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 469973963
 
Von den Götter- und Heldensagen der Antike bis zur gegenwärtigen Renaissance des Familienromans bietet die Weltliteratur ein unerschöpfliches Archiv von family matters. Die Literaturwissenschaften haben dieses Archiv bisher zumeist unter sozialgeschichtlichen Gesichtspunkten konsultiert, sei es, dass Literatur als sozial-geschichtliche Quelle herangezogen, sei es, dass sie selbst als Medium der Sozialisation oder der intergenerationellen Auseinandersetzung gefasst wurde. Das hier beantragte Graduiertenkolleg setzt anders an: Es fasst ‚Familie‘ als imaginäre Institution (Castoriadis) und imagined community (Anderson) auf, für deren Modellierung der Literatur als transkulturellem und interdiskursivem Reflexionsmedium besondere Bedeutung zukommt. Das je epochenspezifische (Selbst-)Verständnis von Familie, so die Ausgangsthese, wird weitgehend über kulturelle Leiterzählungen und ikonische Bilder verhandelt, die Verwandtschafts- und Geschlechterrollen, Beziehungsmodi, affektive Haltungen und kulturelle Ideale, familiale Kernkonflikte und Lösungsmuster (prä)figurieren, dabei aber auch eine symbolische Ordnung zur Diskussion stellen, deren normative Kraft und deren Ansprüche an den Einzelnen es immer wieder neu und immer wieder anders zu plausibilisieren oder zu kritisieren, zu affirmieren oder zu dekonstruieren, zu modifizieren oder zu revidieren, anzueignen oder zu verwerfen gilt. Dabei erweist sich Familie nicht nur als elementares kulturelles Ordnungsmuster, sondern auch als basale Figur der (Ent-)Bindung, die zwischen Herkunft und Zukunft, Fremdbestimmung und Selbstbestimmung, Identifizierung und Entfremdung oszilliert und in deren Zeichen Literatur stets auch ihre eigenen Bindungs- und Lösungskünste (desis und lysis) mitverhandelt. Schon Michail Bachtin rechnete Familie daher nicht nur zu den universalen Themen, sondern auch zu den grundlegenden Chronotopoi der Literatur. Das beantragte Graduiertenkolleg mit beteiligten Wissenschaftler_innen aus allen an der LMU vertretenen Philologien und entsprechenden Kohorten von Doktorand_innen hat zum Ziel, die literarischen Traditionen und Diskurse des Familialen erstmals systematisch aufzuarbeiten und auf diese Weise eine umfassende Archäologie (Foucault) des familialen Imaginären zu leisten. Dabei sollen auch kulturgeschichtliche Narrative (wie etwa Hegels Geschichts-philosophie der Familie, Riehls Erzählung vom Verfall des „ganzen Hauses“ und Freuds Saga vom Vatermord als Ursprung der Menschheitsgeschichte) einbezogen werden, die, obwohl wissenschaftlich längst widerlegt, den Mythos der bürgerlichen Kleinfamilie bis heute prägen. Die Arbeit an diesem Mythos ist umso nötiger, als Reproduktionstechnologien und neue Formen sozialer Elternschaft (jenseits des biologischen Geschlechts) gegenwärtig zu einer Neubestimmung von Familie und Verwandtschaft herausfordern.
DFG-Verfahren Graduiertenkollegs
Antragstellende Institution Ludwig-Maximilians-Universität München
 
 

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