Detailseite
Projekt Druckansicht

Jenseits der Konzertsäle. Klassische Musik für breite Bevölkerungsschichten in Berlin um 1900

Fachliche Zuordnung Musikwissenschaften
Förderung Förderung von 2021 bis 2023
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 471282516
 
Klassische Musik ist untrennbar mit dem Bürgertum verwoben – so legen jüngere Forschungen nahe. Dass sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts jedoch auch jenseits der bürgerlichen Sphäre sehr präsent war, blieb dagegen bisher fast unbeachtet. Dabei war die Rolle von Kunstmusik im Arbeitermilieu um 1900 lange nicht so marginal, wie bisher angenommen. Im Gegenteil: Klassische Musik war integraler Bestandteil der Freizeitvergnügungen und Bildungsangebote der Arbeiterbewegung. Außerdem richteten bürgerliche Volksbildner:innen regelmäßig günstige Konzerte und Vortragsabende für „breiteste Volksschichten“ aus. Das vorliegende Projekt geht diesem Phänomen am Beispiel von Berlin nach und ergänzt so das Bild des Konzertlebens um 1900 um ein entscheidendes Puzzleteil. Dabei interessieren insbesondere auch die gesellschaftlichen Kontexte der Konzerte. Begreift man mit Bourdieu Kultur nämlich als eine Ressource, die in Distinktionskämpfen eingesetzt wird, geht es in diesen Formaten um weit mehr als nur um zweckfreie Aufführungen musikalischer Werke. Es geht um politische, soziale und kulturelle Aushandlungsprozesse unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen in einer sehr dynamischen Zeit.Die Arbeit nähert sich der Thematik aus zwei Richtungen: Zunächst wird auf der Diskursebene aufgearbeitet, welche Motivationen, Vorbehalte und Konflikte mit der Zugänglichmachung von Kunstmusik für breite Bevölkerungsschichten einhergingen. Im Anschluss wird ein möglichst umfassendes Bild des tatsächlichen Konzertlebens gezeichnet. Dabei werden nur solche Formate beleuchtet, in denen Kunstmusik (im damaligen Verständnis) gespielt wurde, die für Arbeiter:innen erschwinglich waren, zeitlich mit dem Fabrikalltag vereinbar waren und sich dezidiert an breite Bevölkerungsschichten richteten. Die Untersuchung ist zweigeteilt. Zunächst werden Initiativen beleuchtet, die von Bürger:innen für Arbeiter:innen ausgerichtet wurden und sich – implizit oder explizit – als Top-Down-Bildungsmaßnahmen verstanden. Im zweiten Teil geht es dagegen um Initiativen aus dem erweiterten Umfeld der Arbeiterbewegung, beispielsweise von Arbeiterchören, Volksbühnen oder Gewerkschaften. Statt eines Schlusses werden Konzertformate im öffentlichen Raum beleuchtet.Die vorliegende Studie ist im Kern interdisziplinär angelegt und verortet sich an der Schnittstelle zwischen Geschichts- und Musikwissenschaft, Cultural Studies und Musiksoziologie. Sie verbindet alltags- und emotionsgeschichtliche Perspektiven, liefert neue Einsichten für das Feld der Performance Studies, ergänzt die umfangreichen Forschungen zur Arbeiter(kultur)geschichte und schreibt an der Geschichte des Hörens mit. Zudem arbeitet sie ein Quellenmaterial (z.T. aus Privatarchiven) auf, das bisher wissenschaftlich kaum beleuchtet wurde. Bezogen auf das Fach Musikwissenschaft möchte die vorliegende Arbeit mit einer detaillierten Fallstudie zu einem ideologiekritischen Verständnis des bis heute wirkmächtigen Phänomens „Kunstmusik“ beitragen
DFG-Verfahren Publikationsbeihilfen
 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung